Detlev von Duhn empfiehlt:






 

 



Tinariwen - Idrache (Traces Of The Past)

Idrache (Traces Of The Past)

CD und LP

24er, unveröffentlichte meist ältere Aufnahmen (ich nehme an, bis zu 20 Jahre), 4 Songs gab
es nie zu hören (2 davon gehören zu den Besten hier), die anderen 8 sind Demos etc., die
Hälfte laufen über 5 Minuten, jeweils mehrere stammen von Amassakoul (2004) und Aman
Iman (2007). Ziemlich viele erklingen in ihrem typischen Stil (mitsamt ebensolchem Groove,
teils hypnotisch), mit (2) E-Gitarren und Percussion sowie (vorwiegend weiblichen)
Backing/Call-Response-Vocals, manche ausgesprochen akzentuiert gespielt, andere beinahe
catchy, zweimal die Backing Vocals stärker hervorstechend/weiter nach vorne gemischt als
gewohnt (u.a. im langsamsten Track, dort bekommen sie als kleiner Chor Freiraum, die
zentrale Melodie punktuell zu variieren, mit exquisitem Ergebnis). Daneben gibt´s mehrere
(mindestens weitgehend) akustische Nummern (mit 2 Gitarren oder 3), ob runtergedimmt,
lyrisch und kristallklar im relaxten Fluss, etwas dunkler, nackt und eindringlich bis fast
kontemplativ, oder besonders stark reduziert, aber gitarristisch brillant. Und 3 Stücke, die aus
dem Rahmen fallen, 2 davon sehr lang: Spannungsgeladener als üblich, zugleich ruhiger resp.
zurückhaltender, z.T. mit einer Art Drones im Hintergrund versehen, atmosphärisch absolut
klasse. Atypischer Gesang (wechselnd zwischen rasend schnell, was ein bisschen Richtung
Raps geht, aber anders, sowie zwar nur kurzzeitig eingestreuten aber lang gedehnten
Phrasierungen), ultra-repetitiv inklusive riffender Gitarre. Und schließlich der Grund, weshalb
ich dieses Album unbedingt brauche: „Alkhar Dessouf“, das über eine sehr spezielle tolle
Polyrhythmik verfügt, woraus sich ein unaufhaltsamer/bezwingender dabei aber relativ
unaufdringlicher Groove/Drive ergibt, in grandioser auf ureigene Art psychedelischer
Atmosphäre, eine beständig eingesetzte Flöte übt einen besonderen und nachhaltigen Reiz
aus, der Lead-Gesang wirkt etwas zurückgenommen – fantastisches Stück, ganz erheblich
besser als die Originalversion damals (was im Übrigen nicht nur hier der Fall ist). Bei recht
vielen Stücken fällt übrigens die ausgezeichnete gern recht filigrane Gitarrenarbeit auf, egal
ob akustisch oder elektrisch. Dicke Empfehlung!

 

 

 



Michael Kiwanuka - Small Changes

Live For Your Love

CD und LP

24er. Erst sein 4. Album in 12 Jahren, und es hat sich etwas gegenüber den letzten Platten
geändert: Die Tendenz geht zu mehr Zurückhaltung, mehr Klarheit und Transparenz in den
Arrangements (obwohl wie gewohnt Danger Mouse und Inflo produzierten), gleichzeitig
weniger Drama (und irgendwie eine gesteigerte „Innerlichkeit“). Und die meisten Stücke sind
rhythmisch klar differenzierter, flexibler gestaltet. Gelegentliche Erinnerungen an Marvin
Gaye oder Bill Withers tauchen auch hier auf, aber nicht wirklich oft (oder massiv), der
offenkundige Einfluss der 70er bleibt nie dort stehen, wirkt stets zeitlos oder aktualisiert, das
ihm zugeschriebene „Soul-Folk“-Label trifft es nie pur, manchmal eigentlich gar nicht. Dafür
wurden, wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, so etwas wie Soft Pop-Anleihen verstärkt
(ohne zu verwässern). Die schon angesprochene Rhythmik greift auf schön federnde Drums
und einen überaus wirkungsvollen Bass (Pino Palladino) zurück, die Streicher treten quasi in
Wellen auf, meist sehr punktuell respektive zurückhaltend, hier und da erhält die E-Gitarre
Gelegenheit zu kurzen absolut exquisiten Features, die einen leicht psychedelischen Touch
ausstrahlen (und beim zweiten, instrumentalen Teil von „Lowdown“ eindeutig an David
Gilmour gemahnen). Mehrfach entwickelt sich ein ausgesprochen angenehmer relaxter
leichtfüßiger dezent groovender Flow, in einem Fall mit einem Hauch Jazzfeeling versehen,
ein paar Mal ausnehmend unaufdringlich funky (ein wenig zumindest). Vor allem aber
überzeugt das Werk durch die hohe Songwriting-Qualität!

 

 

 



Sussan Deyhim / Richard Horowitz - The Invisible Raod

The Invisible Road: Original Recordings, 1985-1990

CD und LP

24er Release, unveröffentlichte Aufnahmen der iranischstämmigen bestechenden Sängerin
mit dem fein- und freisinnigen US-Komponisten. Von den Original-Bändern, auf audiophilem
Vinyl laut Info, inklusive 12-Seiten-Booklet. Wie schon andere Platten von ihnen wirkt die
Musik heute noch innovativ-zeitgenössisch und ziemlich einzigartig, immer wieder gewürzt
von absolut faszinierenden Phasen. Ihre Vocals sind großteils mehrstimmig gehalten,
übereinander, nebeneinander gesetzt, auf mirakulöse Weise zusammenfindend. Es beginnt
mit einem kurzen repetitiven a-capella-Stück, Traditionsverwertung auf experimentelle (und
tolle) Weise. Anschließend sind für längere Zeit Ethno-Merkmale nur in ihrem Gesang
auszumachen, wenn überhaupt, und nie dominant. Stattdessen: Abenteuerlicher
Avantgarde-Pop mit einer ziemlich rudimentären elektronischen Begleitung ihrer diffizilen
wagemutigen abgefahrenen bis repetitiven Vokalschichten. Verfremdete Stimmen (wie
gewohnt mehrschichtig) treffen auf rhythmuslose ein bisschen im Raum schwebende lichte
recht sparsame Elektroniksounds. Typisch nach Ostküste der 80er klingender
außergewöhnlicher dezent innovativer Edel-Pop außerhalb gängiger Muster, der mich
entfernt an die abenteuerlichsten Sachen von Peter Gabriel der damaligen Zeit und vielleicht
noch an Laurie Anderson erinnert, der Gesang vollständig im (ziemlich elektronischen)
Klangbett integriert, samt intelligentem Groove. Repetitive rhythmisch geprägte Synthies plus
eher songhafter „normaler“ Gesang ergibt Art Pop spezieller Sorte. Eine Prise 80s-Electro-
Wave inklusive zum Beispiel Parallelen zu Yello, vom Gesang mal abgesehen. Die
verschiedenen Vokalspuren (im Hintergrund gehalten) verschmelzen mit Synth-Flächen, eine
rhythmische Grundierung findet sich nur „davor“, in Form eines dunklen Motivs. Erst dann, in
der 2. Hälfte des Albums, kommen wieder World Music-Einflüsse dazu, bei gleichzeitiger
Reduzierung der elektronischen Texturen: Stark modifizierte arabisch-orientalische
Einfärbung, Flöte und Bass besetzen eine wichtige Rolle, das (polyrhythmische) Ergebnis ist
komplett eigenständig und besonders. Geheimnisvoll wirkender akustisch-elektrischer Ethno-
Tribal-Pop, die Vocals super vernetzt. Undefinierbare World Music, gespeist aus
verschiedenen Ecken Asiens, ein wenig auch Südosteuropa, dazu ein sehr buntes repetitives
Percussiongeflecht, umherstreifende lautmalerische erhebende Gesänge, später eine klasse
ständig wiederholte Melodie. Sowohl gesanglich als auch instrumental (Saiten) iranische
Traditionen, die Saiten in Form von Loops, ansonsten wunderbar dunkel-atmosphärisch,
rhythmisch zwischen den Stühlen. Schließlich eine (Synth-) Bass-Grundierung in luftiger
Umgebung, unbestimmte faszinierende mäandernde World-Vokal-Schichten, schillernde/hell
glitzernde punktuelle SYnth-Tupfer. Mit oben erwähntem Peter Gabriel arbeitete sie übrigens
auch zusammen, neben u.a. Ornette Coleman(!), Jerry Garcia (!), Branford Marsalis, Joe
Jackson, Brian Eno, Bill Laswell sowieso öfters. Sehr spezielle aber nachdrückliche
Empfehlung!

 

 

 



Bill Callahan / Smog - The Holy Grail

The Holy Grail Bill Callahan's "Smog" Dec.10, 2001 Peel Session

CD und LP

24er Release. Eine unveröffentlichte Peel Session von 2001, die angenehm angerauht,
organisch und „natürlich“ wirkt, instrumentiert von akustischer und elektrischer Gitarre,
Geige und Drums. 3 Stücke zwischen 5 und 7 Minuten, ein kurzes, insgesamt etwas über 20,
Vinyl only. Im Einzelnen: Beautiful Child ist ein Cover von Fleetwood Macs Tusk, soweit ich
weiß, gibt es keine offiziell herausgekommene Smog-Fassung. Zunächst völlig in sich ruhend,
zeitlupenhaft langsam, reduziert, dann immer voller im Sound, offensiver, eine fast epische
klasse Interpretation. Cold Discovery stammt von Smogs Dongs Of Sevotion, hier agieren sie
ganz schön hart, zunehmend, und intensiv in der Instrumentierung, man könnte schon
sagen, aggressiv, immens rockig, in der Machart ein kleines bisschen an die härtesten Velvet
Underground erinnernd. Viel roher als die Studioversion, für mich auch erheblich besser!
Was auf Dirty Pants (von Rain On Lens) ebenfalls zutrifft. Stoisch in langsam einerseits,
beständig wiederkehrend sowohl eine Begleitfigur als auch die einfache Gesangsmelodie,
dazwischen, gleichfalls mit großer Regelmäßigkeit und ebensolcher Wirkung, heulen die
Geige und vor allem die E-Gitarre (geradezu exzessiv manchmal, inklusive Effekten) auf, so
simpel wie extrem effektiv! Hypnotisch! Kurzzeitig wird´s roh, harsch, beinahe brutal. Jesus,
der kurze Track, stammt tatsächlich von Velvet Underground, klingt hier aber nicht unbedingt
so. Gleichmäßig und relaxt gespielt, nicht weltbewegend. Klare Empfehlung!

 

 

 



Warren Haynes - Million Voices Whisper

MILLION VOICES WHISPER (Digi. DLX CD + Bonustracks)

CD und LP

24er. Ein rar gesätes Solowerk vom (unter anderem) Gov´t Mule-Leader. Natürlich werden
zuweilen die Allman Brothers belehnt, bei denen er ja lange spielte, u.a. auch in einer (nicht
vollständig) old-fashioned R´n´B-Ballade im Stil der frühen 70er. Insgesamt fallen der nicht
geringe Soul-Anteil in diversen Tracks auf, der insgesamt doch relativ (!) songorientierte
Charakter vieler Stücke (was damit einhergeht, dass wirklich ausgiebige/ausufernde
Jams/Soli recht selten auftreten – dennoch werden reichlich vorzügliche Gitarrenfeatures
geboten, bei denen Derek Trucks teilweise eine gehörige Rolle spielt), die ziemlich starke
Betonung (und die Qualität!) des Gesangs, oft zudem die wirklich sehr schöne
(omnipräsente) Orgel (John Medeski), teils von (E-) Piano ergänzt. Es gibt funkige Nummern
(lupenreiner und enorm ansteckender Funk Rock mit feinem atmosphärisch-federndem
Zwischenteil, ein bischen Neville Brothers; oder eher leichtfüßig groovend), R´n´B in Rock in
angenehmem Groove, eine kleine Prise Little Feat in Kombination mit Soul- und ein wenig gar
„modernerem“ Pop-Input (sowie brillanter Slide!), 2 Balladen belehnen die späteren 70er
(keine Allmans-Spuren, aber Soul), sporadisch tauchen wenigstens ansatzweise „aktueller“
(und besonders rockig, knackig) klingende Sounds auf, ebenso wie verstärkte Allman-Bros.-
Tendenzen in z.B fast tänzelnd, der längste Track (2 laufen über 8 Minuten, einige weitere
über 6) glänzt natürlich mittels weiteren großartigen Gitarren-Duetten. Southern-Flair
allüberall, ist klar. Deluxe-CD mit 4 Bonustracks.

 

 

 



Eric Bibb - In The Real World

In the Real World

CD und LP

24er. Die Grundzüge sind dieselben wie (fast) immer, ob Stimme, Stilistik oder die feinfühlige
Art seiner Musik. Der Titel bezieht sich auf den Aufnahmeort (Peter Gabriels Studio). Die
Qualität der Musiker/ihr Spiel ist vorzüglich (gern fein gesponnene Geflechte, stets absolut
musikdienlich, höchst organisch). Die Roots (und es ist natürlich pure Roots-Musik) stammen
wieder vor allem aus dem Blues (R´n´B), mit dem höchsten Anteil, Folk und Gospel (was z.B.
an den Backing/Harmony/Chor-Vocals liegt), es gibt zudem (geringe) Spuren von
old-timey/Country, World/Afrika, einmal eine Art Roots Pop, unter der Oberfläche auch Soul.
Wobei abgesehen von einem sehr reduzierten Folk-Song nur der Blues in purer Form
vorkommt (bis hin zu recht starker Orientierung an den 30ern bis 50ern, am liebsten freilich
ausgesprochen zeitlos wirkend). Über weite Strecken jedoch tut er das, was er so
unnachahmlich zu einer Art Markenzeichen entwickelt hat, die Kombination/Verschmelzung
diverser Stile, was bei ihm immer total selbstverständlich anmutet, nahtlos, ganz „natürlich“.
Americana halt. Ebenso „natürlich“ klingen die ziemlich gern verwendeten Grooves, nie
aufdringlich/tendenziell dezent, höchst angenehm. Was auf seine Stimme ebenfalls mehr
oder weniger zutrifft, herrlich einfühlsam, grundsympathisch, einfach richtig schön. Die
Gangart der Stücke variiert von luftig und entspannt, vorwärtstreibend unter leichter
Spannung, etwas handfester im konstanten Fluss, moderatem Drive, nachdenklich und
Atmosphäre schaffend, kurz gar beinahe ein bisschen feierlich, agil und lebhaft tanzend, eine
Spur angerockt. Beständig paart er akustisches mit elektrischem Spiel (wobei die E-Gitarren
oft bestechen, auf so delikate wie ökonomische Weise, gespielt v.a. von Robbie McIntosh,
ehemals bei Paul McCartney und den Pretenders; filigran, feinfühlig, malend, mehrfach eine
klasse Slide, punktierend, verzierend…), es gibt eine Menge bunte instrumentale Farbtupfer,
die Musik wirkt wie aus einem Guss. Sehr zu empfehlen, wie so oft!

 

 

 



Laura Marling - Patterns In Repeat

Patterns in Repeat

CD und LP

24. Sicherlich ihr bislang intimstes, in weiten Teilen sanftestes Album (wenn mich meine
Erinnerung nicht trügt), warmherzig und gefühlvoll. Beherrschendes Thema: Ihre Mutter-
Rolle. Feinziselierter behutsamer und edel arrangierter Songwriter-Folk (ohne besondere
Traditionalismen), bisweilen gar beinahe sakral wirkend, reduziert bis dezent orchestriert –
die Basis bilden Akustikgitarre und eine kleine Streichergruppe, die zwar in allen Stücken
dabei, aber nicht permanent präsent ist, sondern teilweise erst etwas später eingesetzt wird,
respektive punktuell, und in unterschiedlichen Zusammensetzungen, heißt, auch mal nur ein
oder zwei Stimmen. No Drums! In Ausnahmefällen ergänzen Piano, Bläser, Mellotron,
mehrfach tauchen, wenngleich relativ bis sehr zurückhaltend, fast engelsgleiche Backing
Vocals auf (u.a. von Buck Meek von Big Thief). Ruhig und gelassen bis ganz zart wirkt es
meistens, ab und zu (und nur phasenweise) dezent abgedunkelt (ohne in Melancholie oder
düstere Stimmungen zu verfallen), in einem Fall dachte ich kurz an Leonard Cohen. Eine
Ausnahme bildet ein Instrumental (mitsamt Synth), das Anleihen bei Minimal Music bzw.
Mike Oldfield aufnimmt, repetitiv, punktiert. Vor allem aber sind die Songs als solche absolut
apart, hochwertig, voller melodischer Klasse!

 

 

 



Thurston Moore – Flow Critical Lucidity

Flow Critical Lucidity

CD und LP

24er, schon die neunte Solo-LP des Sonic Youth-Mannes. Für mich auf jeden Fall ein Highlight
seines Solo-Schaffens. In der festen Band spielen u.a. Deb Googe (My Bloody Valentine) und
Jon Leidecker (Negativland), als Gast ist Laetitia Sadier (Stereolab) dabei. Ziemlich großartig
finde ich „Hypnogram“ (Annäherungen an eine Art melodischen „Alternativ-Dream Pop“, mit
Psychedelia/Shoegazer-Elementen verbunden, phasenweise absolut hypnotisch), aber es gibt
eine Menge faszinierender Ideen zu entdecken. Z.B. im nachfolgenden ebenfalls
psychedelisch angehauchten Track, der geheimnisvoll, spooky anmutet, atmosphärisch stark,
dezent verträumte Momente, Dark Wave-Erinnerungen, entfernte Parallelen zu den
entsprechend gelagerten ruhigen Swans-Sachen. Oder Can-Einflüsse, gepaart (in geringerem
Maße) mit Tribal- und Talking Heads-Spuren, suggestiv. Neu! ist ein weiterer möglicher
Bezug, einmal nur kurz und geringfügig in einer Nummer mit zeitweise fast kontemplativer
Wirkung (ohne leise zu sein, etwas spacey zwischendurch) im individuellen Indie-Rock/Pop-
Rahmen, einmal erheblich deutlicher, schon durch die Motorik, gespickt zum anderen mit
New Wave-Spritzern der 80er (aber ausnehmend eigen umgesetzt). Ein weiterer Song
beinhaltet sowas wie unkonventionellen „repetitiven Dream Pop“, linear im entspannt-
sanften Fluss gehalten. Schließlich gibt´s noch ein auf seltsame Weise lakonisch klingendes
Stück, simple Struktur, aber außergewöhnliche tolle Sounds von Saiten, Tasten, Schlagwerk.
Man könnte dort zudem World Music-Einflüsse vermuten, von ungewisser Herkunft, im
Indie-irgendwas-Gewand. Repetitiver Charakter ist mal mehr mal weniger den meisten der
sieben (oft etwas längeren) Tracks gemein, eine klare eindeutige Gitarrenorientierung nur 4
davon. Hätte ich so gut nicht erwartet.

 

 

 



Joan As Police Woman – Lemons Limes And Orchids

Lemons, Limes and Orchids

CD und LP

24er, ihr erstes „reguläres“ Studioalbum mit neuen Stücken seit längerem. Vieles atmet auf
organische, wie selbstverständlich wirkende, „natürliche“ Weise Anspruch, was auch auf
diverse oftmals ausgesprochen gehaltvolle/intelligente Texte zutrifft. Minimalistischer
Electro-(Modern)-Songwriter-(Art-)Pop steht neben halbwegs „klassischem“ (voller
instrumentiert), wobei Roots-Elemente (u.a. Folk, in geringem Maße auch mal Jazz, 1x Blues-
Spuren) eher modifiziert bis unspezifisch und/oder moderat (und vermischt) verwendet
werden, aber es gibt auch einige Nummern, die eindeutig soulig konnotiert sind (zeitgemäß,
ohne modernistisch zu wirken), partiell ebenfalls ziemlich runtergedimmt, in einem Fall funky
R´n´B in dezent raffiniert (tolle Punktierungen von E-Gitarre und Synth, die sich eh im Großen
und Ganzen die instrumentale Arbeit teilen), zwischendurch, stilistisch hier zwischen allen
möglichen Stühlen beheimatet (mit am stärksten elektronisch gestaltet und inklusive
komplexem reizvollem Groove) beschränkt sich der Soul-Aspekt einzig auf den Gesang. Eine
balladeske (oder wenigstens sehr ruhige) Gangart hat starkes Übergewicht, bis hin zu ganz
langsamen Tempi. Viele Synthie-Klangfarben klingen übrigens außergewöhnlich attraktiv! Vor
allem aber, wie gesagt, die songwriterische Qualität ist hoch!

 


 

 



Seun Kuti & Egyt 80 - Heavier Yet

Heavier Yet

CD und LP

24er, Sohn von Fela. In größeren Abständen bringt er eine neue Platte raus, dies ist die
fünfte, manche (nicht alle) sind toll – ganz besonders diese! Die Stücke sind etwas länger
(allerdings nicht wie bei Fela 10 Minuten und mehr), Afro Beat ist die unbestrittene
Grundlage, mal mehr, mal weniger modifiziert, aktualisiert, weiterentwickelt (oder beinahe
„naturbelassen“), Bläser und E-Gitarre dominieren, die Arrangements klingen teilweise
absolut großartig (und enorm kompakt). Wobei die Art der (insgesamt einfach superben!)
Bläser, gern quasi „gehackt“, stoßweise, stakkatohaft, ein typisches Markenzeichen bildet - in
einigen Tracks tragen sie zudem mittels Soli für etwas Jazzinput die Verantwortung, agieren
außerdem melodiestiftend, und sind einer der Faktoren für einen starken glänzenden
mehrschichtigen polyrhythmischen Charakter (klasse Grooves! Hypnotische Qualitäten!).
Was auch für die Gitarren gilt, gern innigst und perfekt verzahnt mit dem Gebläse, natürlich
immer wieder (auch) funky, und/oder repetitiv. Hin und wieder schleicht sich ein
erfrischender fast schon kongenial zu nennender (catchy) Pop-Appeal ein, die Vocals
unterscheiden sich nicht sonderlich von Felas Vorgaben, die (oft sozialpolitischen) Texte in
der Ausrichtung ebenfalls nicht (Seun ist gleichzeitig eine Art Aktivist in Nigeria, durchaus
nicht ohne Wirkung wohl). Für mich eine richtige Sternstunde: „Emi Aluta“ mit Gast Sampa
The Great (Songwriter und Rapper), dessen Vocals sich wunderbar einfügen, mit gehöriger
Schärfe der Bläser samt bestechenden kurzen Features und ungeheurer Dichte. Lohnt das
Album schon alleine. Daran anschließend geht´s ungewohnt entspannt/geschmeidig (und
melodisch) weiter, hier sind unterschwellig Jazz-Konnotationen auch in der Rhythmik
vorhanden. Zum Abschluss entwickelt sich ein herrlicher Flow, wozu wirkmächtige knappe
sich wiederholende Bläsermotive gehören (die es auch anderswo gibt). Klare satte
Empfehlung.

 

 

 



Ezra Collective - Dance, No One's Watching

cloakroom link up. (Act 1)

CD und LP

24er, die 3. LP der Überflieger aus London (kürzlich mit der prestigeträchtigsten
Auszeichnung in England geehrt, dem Mercury Prize, als erste Jazz-orientierte Band
überhaupt). Einer der Band spielt seit langem live bei den Gorillaz, weitere Mitglieder z.B.
mit Nubya Garcia oder Tony Allen. Nach dem großartigen Vorgänger war ich sehr gespannt,
und es gibt Veränderungen (wenn mich mein Gedächtnis nicht im Stich lässt): Weit weniger
Reggae-Anteil (eigentlich nur einmal wirklich), klar mehr Nigeria (Afro Beat natürlich), doch
selten pur, mehr 70er-Elemente insgesamt (die allerdings nie dominieren), wohl auch
verstärkter Funk-Einfluss, oder? Das gemeinsame/verbindende Element fast aller Stücke
(abgesehen von 4 ruhigeren jeweils ganz kurzen Interludes mit Streichern im Vordergrund) ist
wie gehabt der (großteils packende!) Groove (sogar wenn der Track ausnahmsweise ganz und
gar auf atmosphärische Tasteninstrumente ausgerichtet wird, ohne die obligatorischen
Bläser und E-Gitarren), freilich in vielfältiger Form: Modern Beats mit Club-Affinität, gar mal
House- oder Hip Hop-Annäherungen, gern natürlich unwiderstehliche funky Afro Beat-
Tendenzen (mal ganz schön pur wirkend, mal in Kombination mit dezent modernerer
Rhythmik), in tanzbarem Neo-Soul (in enorm ansteckend) verpackt (ziemlich wenig Jazz-
Anteil), Groove-Jazz relativ klassisch bzw. ein nur wenig von den 70ern abweichender toller
afro-kubanischer Drall, in gemächlicher Gangart (nicht ohne Ähnlichkeiten mit dem Fusion
Jazz der mittleren 70er)… Die jeweiligen stilistischen Einflüsse der Tracks sind vielfältig, es
ergibt sich eine Vielfalt an Stilmixen, beispielsweise: Offener Jazz (inklusive einer Art Früh-
70er Proto-Fusion) meets West-Afrika (von Highlife bis Afro Beat); modernerer Groove Jazz +
Funk + Afro Beat, mit und ohne Funk-Spritzer; eine groovende R´n´B-Jazz-Afrika-Melange;
Rap-Jazz-Funk in wechselnder Schwerpunktsetzung. Wobei mehrfach ein E-Piano (resp. die
Keyboards) dem Früh-70er-Electro Jazz nicht unähnlich klingen (z.B. Herbie Hancock dieser
Zeit). Ein großer Teil der (immer wieder erfrischend starken) Melodik geht auf das Konto der
exzellenten (und präzisen) Bläsersätze. Und das Tempo wird vornehmlich hoch gehalten. Erst
die letzten beiden Nummern weichen klar vom Weg ab: Ein Piano-Solo-Ausflug, ruhig, sehr
schön und relativ eigen, nicht ohne dramatische Effekte. Und das überwältigende
„Everybody“, der Groove steht hier nicht im Vordergrund, verschwindet phasenweise ganz,
starke Kontraste beleben massiv, die Melodik nimmt total gefangen, absolute Klasse! Klare
Empfehlung, beileibe nicht nur für Jazz-Fans

 

 

 



Die Nerven - Wir Waren Hier

Wir Waren Hier

CD und LP

24er. Weil ich das Album so toll finde, hier eine kurze Rezension auch von mir, durchaus
unvoreingenommen. Richtige Überraschungen sind nicht zu hören, (gern schneller) Post
Punk steht im Vordergrund, ziemlich klassisch, oder inklusive gewisser Metal-Bestandteile
(und zugleich suggestiv-eingängig). Daneben sowas wie eine modifizierte bzw. aktualisierte
melodisch verzückende New Wave-Fortsetzung; göttlicher präziser markanter Krach (Noise),
ebenfalls mit Melodie; vereinzelt (doch mehrfach) weitere Metal- resp. Stoner-Anleihen
(partiell dramatisch). Aber auch: Eine richtig schöne kurzzeitig fast hypnotische sich
irgendwie auftürmende Ballade mit Streichern, eine genauso gute elegische Post-Pop/Rock-
Wave-Halb-Ballade mit gloriosem Guitar-Part und eine zurückhaltende dunkle atmosphärisch
sehr starke Nummer mit intensiver Steigerung. Selbst eine Annäherung an (sehr frühe) Cure
kommt vor. Die Texte strotzen nicht gerade vor Optimismus, um es vorsichtig auszudrücken.
Das alles klingt gut wie nie!! Würde ich auch sagen, wenn´s nicht von Glitterhouse wäre.

 

 

 



Nick Cave - Wild God

ԜΙԼD ԌΟD, СD

CD und LP

24er. Welch ein Werk. Die Instrumentierung baut auf Streicher, Piano, Keyboards, z.T. auch
Bläser (oder Glocken), plus eine Menge Chöre/Backing Vocals, Gitarren haben insgesamt
wenig Bedeutung. Balladen überwiegen. Das Ergebnis verfügt über eine Menge schwelgende
respektive orchestrale, ja manchmal geradezu überbordende Phasen, emotional zugespitzt
(beinhaltet aber auch recht schlanke/runtergeschraubte Arrangements in Teilen), Drama
mehrfach inklusive, dazu passt seine Stimme: In ganz großer Form, so gut wie selten!
Religiöse Untertöne und pure Freude vermischen sich, zuweilen in faszinierender
Atmosphäre. Gerade mal ein einziger Track überzeugt mich nicht voll und ganz (O Wowowow,
eine Art Indie Pop mit angedeutetem Groove), ansonsten: Lauter Höhepunkte, zwei davon
noch einmal herausragend: „Conversion“ (zur Hälfte relativ handfest, irgendwie etwas
gospelhaft, wie auch andere Songs hier, voll im Saft, zum Schluss berauschend; davor sehr
zurückhaltend, ganz dezent dräuend und sehr einfühlsam); sowie das wundervolle erhabene
„Joy“, dunkel schillernd und rhythmusarm, in der Begleitung fast zeitlupenhaft, während die
grandiosen Vocals quasi predigen, punktuell ein Chor – hinreißend, triumphal! Während all
dessen erlaubt sich die Begleitung in einigen Nummern einige harmonische Freiheiten. Im
Ganzen gesehen: So klang er eigentlich noch nie. Ganz große Empfehlung

 

 

 



Beak - >>>>

>>>>,1 Audio-CD (Limited)

CD und LP

24er. Das Trio mit ex-Portishead Geoff Barrow und Billy Fuller (u.a. Robert Plants Sensational
Space Shifters). Fast jedes Stück klingt anders, eines aber wiederholt sich doch recht oft: Der
Einfluss von Jaki Liebezeit auf die Drums (und gelegentlich weitere Can-Anklänge). Besonders
massiv z.B. bei einer Nummer, die die Can-Motorik mit Elementen der Elektronik-Pioniere
Silver Apples (Ende 60er) verbindet, mit einer Prise Synth-Avantgarde, die Vocals leicht
klagend und bewusst „wackelig“, spät ergänzt eine Gitarre. Außerordentlich reizvoll! Ein Track
beleiht Can gar im Songtitel (leicht verändert, „Ah Yeh“), die Referenzen sind ebenso stark
(besonders aparte Synthies im langsamen Fluss, die Rhythm Section im erheblichen Kontrast
dazu), wie auch gleich anschließend, wobei ein enorm akzentuierender Bass im Gegensatz
steht zu einer Orgel. Anderswo treffen ein bohrender Fuzz-Bass und dazugehörige
Alarmstimmung (u.a. mittels Synth erzeugt) auf Gitarren-Riffs in Schräglage, repetitiver
aktualisierter (Post-) Kraut arbeitet mit ganz ruhigem Gesang, der im letzten Teil ins
Enervierende abgleitet, parallel mit nunmehr aggressiven/rohen Distortion-Gitarren, oder
Kraut- und Pop-Elemente sowie Pink Floyd-Spuren werden (über einem nervösen Groove)
kurzzeitig mit Prog-Anleihen gekoppelt. Zu Beginn bestreitet eine getragene „feierliche“
Orgel ein langes Intro (inklusive Kirchen-Assoziationen), ehe Gesang in aller Ruhe einsetzt,
gefolgt von einem rhythmischen Synth-(Bass?-)Rumoren im Backing, es entwickelt sich ein
reizvoller organischer Polyrhythmus… Gegen Ende des Albums werden Erinnerungen an
80er-New Wave wach, versetzt mit Groove- und Industrial-Ansätzen (ein Hauch frühe OMD
vielleicht?), oder ein greller Distortion-Bass geht mit dem Synthie auf eine dunkle
experimentelle Zeitlupen-Reise.

 

 

 

Steve Wynn - Make It Right
Make It Right

CD und LP

24er. Nach 14 Jahren ein neues Solo-Album vom Dream Syndicate-Kopf. Das ganz und gar
nicht nach D.S. klingt, no Paisley Underground, sehr wenig Psychedelia, dafür reichlich
Variation. Jede Menge Gäste, u.a. Mike Mills (REM), Vicki Peterson (Bangles), Chris Schlarb
(Psychic Temple), diverse Kollegen seiner derzeitigen Bands (Dream Syndicate, Baseball
Project). Die Spannbreite der Musik ist, wie gesagt, beträchtlich: Zwei Roots-Songs besitzen
durch eine Pedal Steel etwas Country-Flair (aber nur dadurch), der eine klingt sehr ruhig,
zurückhaltend, der andere rockiger (und kurzzeitig auch durch eine E-Gitarre ein klein wenig
country-esk). Garage Rock sehr punktuell vermählt mit frühem Guitar-Proto-New Wave. 2x
feiner gefühlvoller „Atmo-Rock“, mal elastisch mit dezentem late-night-Flair, mal akustisch
betont. R´n´B-orientiert, die 60s/70s aktualisiert. Roots-rockig auf offene Art, im relaxten
schönen Fluss. Dunkel, atmosphärisch, fast geheimnisvoll, und etwas psychedelisch
(vorzügliches kurzes Guitar-Feature). Der mit 7 Minuten klar längste Track wirkt kurzzeitig ein
bisschen experimentell, sehr rauh, rhythmisch total straight, ansatzweise Jam-Atmosphäre.
Und ein komplett akustisches Stück fällt ziemlich aus der Reihe, durch ein dezentes Latin-Flair
(zeitweise jedenfalls), die Instrumentierung (z.B. Vibrafon, Streicher), bei gleichzeitigem 60s-
Feeling. Signifikant ist die recht häufige Verwendung einer Akustikgitarre (meist, nicht immer
mit E-Gitarre kombiniert), fast immer sind Synthie/Keyboards/Orgel oder E-Piano dabei, mit
und ohne auffällige Rolle.

 

 

 



Wayne Graham – Bastion

Bastion

CD und LP

24er. Eine Band (kein einzelner Musiker) aus Kentucky. Ein sehr individuelles Album, dass
mehrfach Aspekte verknüpft, die normalerweise nicht miteinander verbunden werden. Was
gerade den Reiz ausmacht. Aber natürlich auch eher homogene resp. straighte Stücke. 2
Nummern erneuern quasi den Songwriter-Rock, beide faszinieren auf ziemlich hypnotische,
jeweils eigene Art: Unerbittlich vorwärtsmarschierend mit später punktuellen Massierungen
(bestimmten Stücken von War On Drugs nicht unähnlich, wenn auch eher entfernt); oder, in
völlig anderer Atmosphäre, durch ein wunderbar tropfendes Piano geprägt, das gar kurz für
einen Hauch Jazz sorgt und gleichzeitig ein gleichbleibendes Motiv beständig wiederholt.
Relaxt wirkender lockerer Americana in Rock (eine Prise Country) überrascht kurzzeitig durch
eine erheblich schwerere Gitarre, weist Groove-Momente auf. Eine vorzügliche E-Gitarre
atmet manchmal den Geist des frühen Acid Rock (okay, in Ansätzen), entwickelt anderswo
Avant-Noise und Free Jazz-Kürzel (was auch auf knappe Bläsereinlagen zutrifft und Piano-
Fetzen), das alles ohne den Fluss zu verlieren und im Rahmen von geradlinigem Americana
Rock mitsamt einer Art Groove in suggestiv. Zwei bedächtig tropfende Balladen bewegen sich
zwischen diversen Stühlen des 70er-Songwriter-Roots-Pop, einmal in Slow Motion und
ungewöhnlich in der Ausführung, einmal in suggestiver Gelassenheit, für Momente ein Jazz-
Piano sowie Synth-artige Sounds einflechtend, in der 2. Hälfte verdichtet (von Ferne dachte
ich an ruhige Grateful Dead, einen Hauch nur, freilich ohne Gitarren in den Vordergrund zu
stellen). Bleiben noch lange Zeit tiefenentspannter Indie Rock mit minimalen Roots-
Untertönen und herausstechenden Gitarrentönen, die die Harmonie ein bisschen aufbrechen
(melodisch sehr attraktiv!) und ein Mix aus Folk Rock und melodischen traditionellen
Jazzelementen (v.a. 50s-Anleihen) – ganz schön singulär! Was eben auch insgesamt zutrifft!
Speziell aber absolut empfehlenswert.

 

 

 



Fontaines D.C. – Romance

Death Kink [Explicit]

CD und LP

4. LP der Iren. Sie machen es nicht mehr so einfach, eindeutige Vorbilder/Vergleiche zu
benennen, das stilistische Spektrum wurde erweitert (bzw. teilweise verändert) gegenüber
früher, z.B. der (Indie) Pop-Anteil vergrößert (in ausgesprochen melodiöser Ausrichtung). Die
Stücke bewegen sich irgendwo zwischen Indie Pop (meets Post Wave z.B.), New Wave-Pop
der 80s, Guitar Post Punk, Brit Pop vergangener Zeiten, 90s Alt. Rock (trifft partiell Emo-
Rock), Rückgriffen auf ihren früheren Trademark-Post Punk in hier balladesker Form (mal mit
diversen Kontrasten, mal dunkel, schwer und distorted, ein Hauch ruhige Swans gar); ohne
sich jeweils unbedingt klar abzugrenzen, die Grenzen verschwimmen. Zwischendurch
tauchen gar Hip Hop-Elemente auf (die Rhythmik, ansatzweise die Vocals), oder eine kleine
Prise Jesus & Mary Chain in sehr moderat, dezente psychedelische Elemente im
teilakustischen Rahmen, mehrfach klingt´s erstaunlich eingängig. Post Punk wurde jedenfalls
ganz schön weit reduziert, dafür die Tasten-Betonung verstärkt, so manches klingt weicher,
runder, heller bzw. farbiger. Und mein bevorzugter Song verfügt über eine reizvoll
rotierende/repetitive Melodik, samt einer Spur halluzinogenem Input.

 

 

 



International Music – Endless Rüttenscheid

Endless Ruttenscheid

CD und LP

24er, 3. LP. Das (Gitarren-) Trio aus dem Ruhrgebiet gehörte von Beginn an zu meinen
bevorzugten deutschen Bands (zu zwei Dritteln identisch mit den Düsseldorf Düsterboys).
„Minimalistischer Rocksound“ steht recht treffend im Info. Aber ein ganz schön vielfältiger:
Drama-Guitar Rock mit Retro-Flash und Proto-Acid-Momenten. Melancholischer
melodienseliger Guitar Pop in zeitlos, jedoch mit modifiziertem/erweitertem 60s-Vokabular.
80s-Deutsch-Wave mit und ohne Reggae-Touch, ansteckend oder ganz besonders
minimalistisch. Sowas wie „Psyche-Folk“. Skelettierter purer Pop trifft einen Hauch (nicht
mehr, und nur punktuell) Kraut, wie in Trance. Ein manipulierter Mix aus Them und Velvet
Underground plus Psyche-Einfluss in der tollen Gitarre, klasse Melodie-Einfälle. Eine Art
verfremdeter Boogie unter 50s-Einfluss inklusive massiver Distortion. Stoisch und
unverschämt poppig zugleich mit anschließender Acid-Gitarre – hypnotisch und packend!
(Power) Pop in starker 70s-Färbung. Garage-Tendenz mit wüstem Schluss und dennoch Pop-
Flair. Und mehr Melancholie, mehr Melodie, jede Menge reizvolle Harmony-Vocals. Wie
schon zuvor gilt auch hier: Die (deutschen) Texte nerven mich null, kommt nicht so oft vor.
Exzellent.

 

 

 



Mercury Rev – Born Horses

Born Horses

CD und LP

24er. Die Musik kommt etwas überraschend für mich, haben sie so was schon mal gemacht?
Die Vocals bestehen weitgehend aus (teilweise fast geflüstertem) Sprechgesang. Es gibt jede
Menge Hall. Gar manches wirkt etwas elegisch, mit umhüllenden Soundscapes bestückt, teils
sanft orchestraler zeitloser Tasten-Pop (in einem Fall inklusive einem Hauch Folk-Input,
jedoch keineswegs im Sound), teils ziemlich pompös/sehr vollmundig (Keyboards, Streicher,
Piano, auch Bläser), vielfarbig, oft dicht arrangiert, „schwellend“, nur kurzzeitig
runtergedimmt. Gelegentlich melancholisch-erhebend, zurückhaltend und sehr
atmosphärisch (stilistisch undefinierbar; später intelligent und leicht agiler/komplexer
rhythmisiert), oder leichtfüßig federnd fließend (dezenter Jazzeinfluss, ganz entfernt eine
Spur Chet Baker), oder ausnahmsweise (deutlich) rockiger und schneller. Sporadisch tauchen
rauhe Gitarren auf. Ich kann mir nicht helfen, die Üppigkeit des Sounds erinnert mich in
einigen Stücken an die 70er-Zeiten des Symphonic Rock, gar (okay, entfernt) Alan Parsons
Project. Teils längere Tracks

 

 

 



Bassekou Kouyaté & Amy Sacko - Djudjon, L'oiseau De Garana

Djudjon, l'Oiseau de Garana

CD und LP

24er. Er gilt als der Ngoni-Meister Nummer eins, nicht nur in Mali – ein Saiten-Virtuose
sondergleichen, der dem Instrument Klänge entlockte, die in dieser Form unbekannt waren
(in seiner Band Ngoni Ba mit gleich 4 teilweise unterschiedlichen Ngonis), vor ca. 10 Jahren
zudem begann, es zu elektrifizieren (samt einem phasenweise beinahe rockigen Album).
Nunmehr klingt er erheblich luftiger, die Dichte und Intensität fährt er herunter, alles bleibt
akustisch, die Tempi fallen überwiegend relativ zurückhaltend aus (ohne auf etwas flottere
ganz zu verzichten, gleich im überraschend Groove-betonten Opener entwickelt sich ein
bestechender Drive), ein paar Stücke wirken geradezu relaxt, oder gar wie in slow motion
(sehr reizvoll). Aber egal in welcher Geschwindigkeit, die Rhythmen wirken sehr sehr delikat,
ohne je spektakulär auszufallen! Sein Spiel klingt brillant wie immer, gern filigran und
irgendwie „gestochen“, dabei musikdienlich wie gehaltvoll, von erstaunlicher Bandbreite,
ergänzt von Bass-Ngonis und sparsamer Percussion – vor allem aber in der Dominanz immer
wieder abgelöst von der blendenden zuweilen durchdringenden Stimme von Ami Sacko (bei
der Hälfte der Tracks), die für eine ganze Reihe hinreißender Highlights sorgt. Das Ergebnis ist
tolle lebendige von westafrikanischen Traditionen durchdrungene Musik, die jedoch dort
nicht stehen bleibt; variiert und weiterentwickelt, passenderweise auf eigenem Material
fußend, zwischendurch bezieht sie ein gewisses bluesiges Flair ein (zu hören freilich
ausschließlich in seinem Ngoni-Spiel, das manchmal eine fabelhaft „singende“ Note erhält).
Klare Empfehlung.

 

 

 



Fink - Beauty In Your Wake

Beauty in Your Wake

CD und LP

24er des Engländers Fin Greenall, dessen Musik so gerne für Soundtracks verwendet wird,
mit seiner Band in der „klassischen“ langlebigen Besetzung mit Thornton und Whittacker.
Irgendwie klingt das, was er hier macht, teilweise fast schon „originär“. Der faszinierende
Opener gibt die Richtung schon in etwa vor, in besonders konsequenter Form: Von enormer
Sogwirkung durchzogener Singer-Songwriter-Stoff, der sich abseits von engen stilistischen
Zuschreibungen (oder Vorbildern) ganz linear und beständig steigert, zunächst nur von
akustischer Gitarre begleitet (aber bereits klar rhythmisiert), dann mit Band, irgendwann
elektrifiziert, immer dringlicher. Regelrecht hypnotisch! Der nächste Song, intim beginnend,
ist ähnlich aufgebaut, aber nicht so gnadenlos/strikt/massiv gesteigert, und anders endend –
nämlich mit Rückgriff auf den Start. Gefolgt von einer Nummer, die die (eh gern verwendete)
ziemlich repetitive Begleitung besonders betont, akustisch geprägt, die schön phrasierenden
Vocals ragen durchweg heraus, wie beim ersten Stück wird auch dieses fortlaufend
verdichtet/intensiviert, zum Schluss enorm. Anschließend ist zweimal hohes Tempo angesagt
(in dennoch akustischem Setting), in einem Fall „galoppierend“ mit gewohntem
Steigerungsprinzip, im anderen wird die Rhythmik (die sonst fast durchweg die ganzen Songs
über absolut konstant bleibt, freilich jeweils ganz unterschiedlich beschaffen) quasi erst nach
und nach „konkretisiert“, während die Akustikgitarren mehr akzentuieren, die Refrains
deutlicher abgesetzt sind. Im Folgenden wird dann doch mehr variiert: Mal setzt die
Verdichtung erst spät und ganz plötzlich ein (wie auch die Elektrifizierung); mal bleibt es
lange folkig (um bluesig zu enden), während meist ein dezentes (Indie-) Folk-Flair besonders
zu Anfang hörbar ist (bevor die Drums einsetzen); und die letzten beiden Songs fallen
deutlich aus dem Rahmen: Eine intime leise radikal reduzierte Ballade (klasse), sowie eine
ruhige dunkle ungewohnt gleichmäßige atmosphärisch spannende Nummer. Phasenweise
wirkt der Gesang übrigens leicht improvisierend (und besitzt dabei erheblichen Reiz),
außerdem relativ sanft, aber bestimmt. Und ich vermeine, (nur sporadisch!) auf eine
verquere Art entfernt ähnliche Merkmale wie bei War On Drugs zu hören (in anderem
musikalischem Kontext allerdings).

 

 

 



Dirty Three - Love Changes Everything

Love Changes Everything

CD und LP

24er. Die langlebige Band mit Warren Ellis (seit Ewigkeiten wohlbekannt als Wegbegleiter von
Nick Cave/Member der Bad Seeds), Mick Turner und Jim White ist immer noch existent, ihre
letzte LP liegt allerdings schon 12 Jahre zurück. Dieses „Comeback“, in 6 längeren Stücken,
klingt ziemlich kompromisslos: Roher Free Rock, irgendwann rhythmisiert/stampfend (und
unerhört intensiv) samt melodischen Elementen, die Gitarren dreckig/schlierig/massiv
verzerrt, eine Bratsche erheblich klarer. Schwermut und lichte Klänge in transparenter effekt-
loser Artikulation und kammermusikalischer Ausprägung, es reichen eine Geige, zarte E-
Gitarre und losgelöste Drums (v.a. gebremste Beckenarbeit). Ein erbarmungslos
durchgezogenes Riff und distinguiertes Gitarrengefrickel starten, daraus entsteht eine dicht
gepackte Gitarrenphalanx und (teils ziemlich wild) herumstreifende 2 Streicher (die kurzzeitig
an die sehr lauten frühen freien Velvet Underground-Eskapaden erinnern) – Free Rock ohne
Zügel oder falsche Zurückhaltung, ungemein dicht und intensiv auch hier. Eine lyrische
repetitive Piano-Melodie in Variation, dunkle leise rumorende Drums und wiederum
kammermusikalische Avant-Soundscapes aus Geige, Bratsche und E-Gitarre. Eine ähnlich
angelegte Nummer mit dezent jazzigem Einfluss und entfernter Ähnlichkeit zu den leisen
Free Form-Jams von Grateful Dead, die Bratsche sorgt für ein wenig melodischen Input. Und
schließlich ungebundene Streicher-Schlieren, tropfende sehr langsame Piano-Melodien,
rollende „offene“ Drums und filigrane E-Gitarren-Verzierungen – die strake Kontraste bilden,
zum Schluss Crescendi-Eskalation betreiben. Kurzzeitig lugen extremste Sonic Youth-Sachen
um die Ecke.

 

 

 



Sun Ra - Inside The Light World

Inside the Light World: Sun Ra Meets the Ovc

CD und LP

24er Veröffentlichung auf Strut. Ein weiteres „neues“ (bis auf 2 Stücke auf obskuren Videos)
unveröffentlichtes Album – und zwar absolut keine „Überbleibsel“/Resteverwertung! Es
handelt sich um Aufnahmen von 1986, live im Studio, quasi ein komplettes Konzert, der Titel
des Werks nimmt übrigens Bezug auf eine ziemlich große Lichtmaschine namens OVC, die
individuell mittels Tastatur „gespielt“ und während der Einspielung verwendet wurde (das
relativ kurze Video davon ist auf You Tube verfügbar). Überraschend nach meinem
Dafürhalten absolutes Pflichtprogramm für alle Fans und selbst für Sun Ra-
Gelegenheitskäufer (oder gar „Newcomer“) sehr sehr reizvoll! Was, neben der starken
Groove-Betonung fast aller Tracks (ob Swing-basiert, polyrhythmisch-afrikanisch oder
whatever), vor allem an 4 fürwahr grandiosen Highlights liegt (die mehr als die Hälfte der
insgesamt 88 Minuten umfassen): Der Klassiker „Calling Planet Earth“, hier 11 Minuten lang,
melodisch ja eh glorios, in diesem Fall allerfeinst variiert, groovend auf etwas
unkonventionelle (und hochattraktive) Weise, top Call-Response-Vocals (June Tyson, der
Meister selbst), ein paar brillante Soli bzw. Konversationen (Bläser, teils unter Einbeziehung
des Pianos, punktuell auch der Synthie). Mir fällt keine bessere Version ein. Sodann „Theme
Of The Stargazers“, erneut mit bestechenden melodischen Erweiterungen, klasse Grooves
spezieller Art und herausragenden Soli (u.a. Synth, Gitarre, die eh bei mehreren der 12
Nummern eine größere Rolle spielt), kurze fantastische „verwirbelte“ Mehrschichtigkeit.
„Saturn Rings“ verfügt über einen unaufhaltsamen Swing-Groove, super Bläser-Motive,
ebensolche Call-Response-Stimmen (die erstaunlicherweise insgesamt bei weit mehr als der
Hälfte der Musik zum Einsatz kommen, und zwar in bestmöglicher Form), ein effektvoll
riffendes Bariton-Sax (gleichfalls mehrfach vertreten), Space-Synthies, einfach perfekt
kombinierende Bläser. Und noch ein Klassiker, Discipline 27-II, in epischer Länge (22 Minuten,
keine zu viel): Eine herrliche zentrale Melodie (eine seiner schönsten), von der Bläser-Phalanx
lange andauernd prachtvoll präsentiert mit wechselnd überlappenden Solo- und Kollektiv-
Stimmen, später stärker variiert, wunderbare Kommunikation einzelner Bläser, Soli (nicht so
viele trotz der Länge) zwischen (nur punktueller/kurzzeitiger) Freiheit und Schönheit,
zwischendurch heruntergedimmt, fabelhaftes (kurzes) Synth-Solo auch hier, repetitve Kurz-
Motive resp. Riffs der Bläser, 3 Vokal-Phasen, gemäßigter Swing, becircend klangfarbenreich.
Soweit die Höhepunkte, außerdem gibt´s 3 knappe (E-/Synth-) Piano-Features (von denen
mir 2 eher überflüssig erscheinen), ein paar Mal besagte Afro-Polyrhythmik als (1st class-)
Basis (einmal inklusive Latin-Bezug), sehr schöne Bläsersätze, 50er-Jahre- und noch ältere
Einflüsse, die auf seine typische Art modifiziert, erweitert oder auch verfremdet werden
(massiv swingend), eine recht traditionell gehaltene Vokal-Ballade. Der Sound übrigens ist
voll okay, ja keine Selbstverständlichkeit bei Sun Ra. Große, fette Empfehlung!

 

 

 



Nathaniel Rateliff - South Of Here

South of Here

CD und LP

24er. Zum wiederholten Male ein ganz exquisites Album von ihm. Ungeheuer emotional,
gesanglich packend, gehaltvolle Songs von bestechender Tiefe. Kein Wunder, dass
beispielsweise Robert Plant ein ganz großer Fan von ihm ist. Der seit einiger Zeit bei ihm
obligatorische R´n´B-Einfluss (traditioneller Art) ist diesmal nicht ganz so prägend, mal nur
unterschwellig spürbar, mal deutlich, mal sehr gering gehalten. Im Einzelnen: Enorm
kraftvoller Roots-Rock mit dominierender und ziemlich großartiger auffälliger E-Gitarre, die
teilweise mit der Gesangsmelodie korreliert. Songwriter-Rock von unerwarteter Schärfe und
Dringlichkeit (wahlweise massivem Drive), der in einem Fall erneut durch superbe, tief
schneidende Gitarren glänzt, aber zwischendurch auch kurze vom Piano bestimmte ruhige
Phasen aufweist. Ein viel ruhigerer Song (dennoch dezent rockig), doch emotional in den
Refrains grandios überwältigend, schließlich in hymnische Höhen emporsteigend – groß!
Zeitloser R´n´B mit Bläsern, die im Folgenden oft auftauchen, zum Beispiel in einem stark
Roots-geerdeten Stück, das, wenigstens ein kleines bisschen, an Springsteen erinnert, oder in
einer Melange aus Rock und R´n´B, die in der Machart sich nicht so sehr von den Stones
unterscheidet. 2x 70s-artiger Edel-Songwriter-Pop mit vielfältigem Roots-Input, teilakustisch,
1x irgendwie eine Spur wie The Band mit (noch) mehr Bandbreite. Schließlich süffige
umfassende Americana, ob ein Hauch wehmütig (und wunderschön!) oder als Ballade intim
und verführerisch einfühlsam (in der 2. Hälfte begeistert noch einmal diese tolle E-Gitarre).
Brad Cook produzierte übrigens, klasse Job. Sehr zu empfehlen!

 

 

 



Madeleine Peyroux - Let's Walk

Let's walk

CD und LP

24er, nach langer Pause. Komplett gemeinsam mit Jon Herrington geschrieben (mit dem sie
lange schon zusammenarbeitet, und der ansonsten ebenso lange als Gitarrist für Steely Dan
und deren Soloprojekte tätig ist). Ihr „tiefgründigstes und gehaltvollstes“ Album, wird im Info
behauptet – okay, kann ich nicht beurteilen, ich hab nach den ersten (sehr schönen) Alben
ihren Werdegang nicht mehr verfolgt, aber grundsätzlich treffen diese Attribute, das
Songmaterial ist exzellent, ihre Stimme mag ich genauso wie damals (und erinnert immer
noch bisweilen etwas an Billie Holiday, selbst ein, zwei Stücke gehen wenigstens ein kleines
bisschen in diese Richtung). Die Bandbreite der Musik scheint mir eher noch zugenommen zu
haben, teilweise verschwimmen die Einflüsse auch/verschmelzen miteinander. Das reicht von
intimem balladeskem „Jazz-Folk“ mit ziemlich „alten“ Jazzelementen, noch älteren aus dem
Blues- und Folk-Sektor (samt jazzigen und gospeligen Spuren, jedoch recht zeitlos und
attraktiv arrangiert, in relaxtem aber „bestimmtem“ Ambiente), über handfestem R´n´B in
sattem Groove (70s-Anklänge), je einmal auch Chanson-Tendenz (dezent schwingend) und
relaxtes Tex Mex-Flair, in sich ruhendem Blues Marke 50er (allerdings stilistisch erweitert),
einer offen rootsigen fast kontemplativen Songwriter-Pop-Ballade, Folk-Pop in großer Ruhe
und Gelassenheit (in sanftem Fluss, inklusive geringem Jazz-Input), bis zu angejazztem Blues
(nochmal 50s) in „natürlich“ groovender eher gemütlicher Gangart und Karibik/Ska-Anleihen
(spoken words, angeblich von Linton Kwesi Johnson inspiriert, und ein Jazz-angehauchtes
Marimba-Feature). Die edle Begleitung besteht meist aus elektrischen (großteils gering
verstärkten, filigranen) E- und/oder akustischen Gitarren, Orgel, teils zudem E-Piano,
Akkordeon, Piano und Steel-Gitarre. Vor allem, aber, wie gesagt, verfügt das Album über
reichlich richtig gute Songs!

 

 

 



King Hannah - Big Swimmer

Big Swimmer

CD und LP

24er der zuletzt so famosen Liverpooler, die sich diesmal auch textlich US-beeinflusst zeigen,
stilistisch jedoch etwas eingegrenzter: Die gelegentlichen Elemente aus Trip Hop, (Southern)
Gothic, Dream Pop, Shoegazer fehlen weitgehend, ebenso wie jegliche Tasteninstrumente,
auch die Vorliebe für massiv atmosphärisch ausgerichtete Songs wurde verringert. Dafür
tauchen mehrfach (aber punktuell) Stoner-artige (Fuzz-) Momente in einigen Songs auf (oder
„Proto-Stoner“ ohne richtige Härte, gekoppelt mit einem kleinen Abstecher zum Noise-Post
Punk, bzw. Kyuss ohne Heaviness), auch Crazy Horse sind mal nicht so weit weg. Und sie
sorgen gerne für Kontraste: Gitarren-Rock pendelt zwischen ziemlich sanft/intim und
verzerrten kurzen Ausbrüchen (als Bonbon ein ganz feines dezent psychedelisches Guitar-
Solo), eine großteils filigrane Indie-Ballade von erheblicher Schönheit wird spät dann doch
wieder verzerrt (immer noch balladesk) samt langem exquisitem Solo (nicht so viel anders als
das eben angesprochene), besagte Stoner-Einschüsse in ansonsten ruhigem Ambiente,
angerauhter Indie Pop wird von Harmony Vocals versüßt, die auch in den anschließenden
zwei rohen lauten Passagen fortgeführt werden, ein ganz zarter leiser akustischer Folksong
mutiert zu entzückendem lyrischem/relaxtem zum Teil wunderbar singendem Songwriter-
Rock… Und einer der längeren Stücke beginnt relativ dunkel und nackt und ein wenig
unheimlich, wird dann, unter gewisser Spannung, repetitiv mit ausbrechender Desert Rock-
Erlösung, vielleicht später Dream Syndicate verwandt (aber entfernt). Ein weiterer
Turnaround gegen Ende: Zunächst eine sehr langsame reduzierte (elektrische) Ballade mit
ansatzweise Americana-Flair (und geringen Red House Painters-Parallelen), um im
programmatischen „John Prine On The Radio“ endgültig dort (in Americana-Gefilden)
anzukommen (nun aber partiell akustisch, und bestechend schön!).

 

 

 



Kenny Barron - Beyond This Place

Beyond This Place

CD und LP

24er. Den hatte ich nun wirklich gar nicht mehr auf der Liste, wenn´s um herausragende neue
Jazz-Alben geht. Und innovative Ideen liefert der Piano-Veteran (hier großteils im Quintet
spielend) natürlich auch nicht. Aber großartige Interpretationen, sowohl von alten Standards
(The Nearness Of You von Hoagy Carmichael: Eine vollkommen klassische Ballade, die wie
aus den 40ern oder 50ern entsprungen klingt, sowas von gefühlsstark, edel und brillant
umgesetzt… melodisch exquisit, das Sax ganz große Klasse; Softly As In A Morning Sunrise:
Die so oft gecoverte uralte Nummer von 1928, als originelle eigenständige Piano-Tour de
force zwischen diversen Stühlen im Duo mit den Drums, gestochen, präzise, konzentriert; We
See von Thelonious Monk, ein weiteres Duo, diesmal Piano/Bass, ein bisschen „runder“ und
zugleich verspielter als das Original, super); als auch von eigenen älteren Stücken (mehrere
seiner besten Kompositionen, aus den 70ern und 80ern, melodisch first class und gehaltvoll;
z.B. Scratch: Extrem rasant, ungeheuer agil, elastisch und beweglich, Überraschungen,
rhythmische Finessen ohne Ende, komplex und einfallsreich, unter Spannung, glänzende Soli
u.a. vom Vibrafon, das in den meisten Stücken präsent ist, v.a. aber wiederum vom Sax –
unglaublich frisch wirkender Be/Post/Free Bop mit freigeistigen Momenten, große Kunst;
oder Innocence, ganz behutsam upgedateter zeitloser relativ bedächtiger feiner bis
vorzüglicher Bop mit lebhaften Spitzen). Die übrigen Stücke (alles Originale, durchweg gut,
aber nicht weltbewegend) lassen sich im eher stark traditionsverhaftetem (Hard) Bop-
Bereich verorten, ob als nuancierte Ballade, relaxt oder angestochen; wobei dann doch ein
Track noch einmal herausragt, Sunset von seiner 73er Solo-Debut-LP, thematisch bestechend,
mit gewisser Sogwirkung und einem weiteren tollen Sax-Feature. Letzteres wird übrigens
bedient von Immanuel Wilkins (dessen letzte eigene LP ja auch schon ziemlich grandios
ausfiel), der einen großen Teil zur hohen Qualität dieses Albums beiträgt! Wie auch
Spitzendrummer Jonathan Blake. 2 Bonustracks sind auf die limitierte Vinyl-Ausgabe
beschränkt: Lebendiger variabler Hard Bop mit Lyrizismen, und ein Bass-Piano-Duo,
nachdenklich bis manchmal beinahe meditativ (ein weiteres altes Cover). Ich hätte ein so
exquisites Werk von ihm nicht mehr erwartet, sehr zu empfehlen!

 


 

 



Sun Ra - Excelsior Mill

Excelsior Mill

CD und LP

24er Release, die Aufnahme stammt, nehme ich an, von 1984. Und ist mir komplett
unbekannt, ich weiß nicht, ob in irgendeiner Form schon mal veröffentlicht, eher nicht. Auf
Modern Harmonic, auf dem Label sind schon einige tolle Alben vom Meister erschienen. Er
spielt hier eine große Pfeifen-Orgel (Kirchenorgel), und zwar großteils solo (sehr punktuell
scheinen eine Pauke bzw. andere Percussions hinzuzukommen). Ganz gern verwendet er
tiefste (durchdringende!) Register und mittlere bis hohe parallel (oder doppelt tiefe).
Einflüsse von moderner Klassik tauchen mehrfach zwischendurch auf (natürlich sehr
individuell gestaltet), Jazz in auch nur halbwegs herkömmlicher Form ist dies auf jeden Fall
nicht, auch kein Free Jazz. Avantgarde, okay, aber eminent eigen. Extremst große immer
wieder enorm beeindruckende Klangpalette! Assoziationen: Majestätisch. Schroff, roh.
Anrührend, fast lieblich (kurzzeitig). Grell. Tumultös. Space. Erhaben. Zerhackt. Dramatik.
Rhythmisch nie stringent, eher „stop and go“, bzw. beständig wechselnd. Spooky… Ich kenne
vielleicht 200 Alben von ihm, so eines ist mir noch nicht untergekommen, jedenfalls nicht in
seiner Gesamtheit (bestimmte ähnliche Passagen schon). Zwei Stücke sind angegeben,
namens Beyond Hiroshima und Excelsior, das Info konstatiert „CD contains the entire uncut
show“, die 42 Minuten passen jedoch auch auf eine LP – so ganz werde ich daraus nicht
schlau, vermute aber, dass beim Vinyl ca. 4 Minuten fehlen. Die Tapes (Mastertapes) sollen
aus den Original-Archiven von Sun Ra stammen, klanglich war wohl nicht mehr möglich,
jedenfalls ist der Sound nicht gerade optimal, aber hörbar (manchmal etwas verzerrt, zudem
ein gewisser Rauschpegel). Sehr, sehr außergewöhnlich, selbst für seine Verhältnisse!

 


 

 



John Cale - POPtical Illusion

Poptical Illusion

CD und LP

24er. Vor dem letzten Werk lag eine lange Pause, jetzt folgen gleich 2 kurz nacheinander.
Zwar nicht verschwunden, aber vermindert ist die Experimentierfreude vom Vorgänger
(„Mercy“), geblieben die massive Vorliebe für Synthies und überhaupt Tasten aller Art.
Gewagt und sehr ungewöhnlich sind vor allem 2 Tracks; der eine beginnt als entspannter Pop
mit angenehmen Harmony Vocals, ehe daraus urplötzlich harmonisch abgedrehte
Avantgardismen (noch dazu rhythmisch vertrackte) entstehen, um anschließend, nach einer
kurzen beides verbindenden Übergangsphase, zum Ursprungszustand zurückzukehren. Der
andere entwickelt in allen Farben und Formen schillernde Tastenklänge, atmosphärisch,
bedrohlich, dunkel, rhythmisch ankernd, repetitiv, sphärisch-spacy, verstörend, die
behutsamen Beats formen sich irgendwann zu Grooves, der Gesang wechselt von poppig zu
stark verfremdet, zum Schluss wird´s fast kakophonisch. Ansonsten: Edel-(Songwriter-)-Pop
gebettet in ruhigen Groove, teils mehrstimmig, mit ein paar tollen kurzen gegen den Strich
gebürsteten Spitzen in der Tasten-dominierten Begleitung, anderswo ist der Groove
offensiver und eindeutiger (das Piano hämmert, der Gesang kommt melodisch sehr attraktiv
bis eingängig, die Stimmung harmonisch) oder er bewegt sich irgendwo dazwischen, wobei
die Instrumentierung eine Einheit mit den Vocals bildet (und ein Hauch Wehmut aufkommt)
oder ein abermals (moderat/dezent) hämmerndes Piano erneut grundiert. Gelegentlich
verzichtet Cale auf eine Rhythm Section (respektive Drum-Machines), in einem Fall wird
dabei dennoch ein rhythmisches Bett geschaffen, über dem die hier besonders eindringlich-
markante Stimme ihre absolut faszinierenden Bahnen zieht. (Noch) stärker elektronisch
angelegte Nummern arbeiten mit manipuliertem Gesang (und besonders einfallsreichen und
mehrschichtigen Synthies) oder kontrastieren atmosphärisch betonte Keyboards mit (selten)
eingestreuten punktuellen harschen Gitarren. Ein monotoner Rocker setzt Letzteres nicht nur
fort, sondern lässt sie, messerscharf und roh, dominieren. Weitere Songs betonen analog
den oben beschriebenen Stücken ebenfalls den (zeitgenössisch konnotierten) Groove-Aspekt,
um ihn explizit dem (im Verhältnis zu der jeweiligen Begleitung erheblich ruhiger wirkenden
teils eminent melodiösen) Gesang gegenüberzustellen. Die 13 Tracks pendeln großteils um
die 5 Minuten, oft wäre es in einem Blindtest schwierig, die Zeit ihrer Aufnahme zu
bestimmen. Und die Qualität all dessen ist, wie beim Vorgänger, ausgesprochen hoch!

 

 

 



Kamasi Washington - Fearless Movement

The Visionary

CD und LP

24er, sein drittes „richtiges“ Werk, für seine Verhältnisse schlappe 86 Minuten lang. Viele
Gäste, u.a. Thundercat, George Clinton, Andre 3000, Gesangs-As Dwight Trible, Carlos Nino.
Heißt auch, es gibt in 2 Stücken (von 12) Hip Hop-Infusionen/Raps (in einem gleichberechtigt
mit Jazz-, Funk- und Soul-Input, im anderen, extrem rhythmisch, mächtig agil und
eindringlich, im Verein mit zeitgenössischem Groove-Jazz und etwas Gospel-beeinflussten
Vocals, nicht ohne Anleihen in den 60ern wie den 70ern; „Post-Jazz-Rock“?). Was besagte
Vocals betrifft: Die tauchen öfters auf, teils vervielfältigt zu kleinen Chören, auch mal leicht
soulig, oder inklusive dezenten Assoziationen in Richtung von z.B. Donald Byrds A New
Perspective; Patrice Quinn singt vor allem (ausgezeichnet), die ja schon auf den anderen
Kamasi-Alben dabei war. Klar passt das alles zum genreübergreifenden aktuellen (Jazz-)
Markt, anbiedernd ist es nicht. Die verwendeten und partiell aktualisierten schon
angesprochenen Traditionen beziehen sich auch woanders ganz gern auf die 60er wie die
70er, verschmelzen mit späteren Elementen zu einem organischen Ganzen, Melodik wie
Rhythmik sind enorm reich, die Dichte und Intensität der Musik wird in regelmäßigen
Abständen sehr hoch, besonders in den sich zu emotionalen Feuerwerken steigernden
Bläser-Soli (gerade von Kamasis Tenorsax, häufig!). Apropos Dichte: Dabei spielt u.a. der
Einsatz mehrerer Drummer/Perkussionisten eine Rolle. Und natürlich die 3-köpfige
Bläserphalanx (zwischendurch kurz 4-köpfig). Zwar entwickelt sich phasenweise eine gewisse
Opulenz, aber nicht in dem Maße wie bei „The Epic“, der Überwältigungseffekt bleibt aus.
Dafür klingt so manches hier regelrecht erhaben, und/oder spirituell! Stilistisch ist einiges
dabei, abgesehen von den schon erwähnten Elementen gibt´s u.a. (und wenn es nur
punktuell ist) tanzenden Afro-Jazz, „Modern Jazz“ im (groovenden) Fluss, ganz wenige freie
Sprengsel, mehrfach klare Coltrane-Anklänge (so ungefähr 1964 am liebsten), Fusion-
Tendenzen und mittlere 70er (z.B. in Synthie-Soli), aber auch kurz die 80s jeweils mehr oder
weniger upgedated, zwischendurch (nicht oft) sowohl lebhafte bewegliche zeitlose (sehr
dezent soulige) als auch lyrische Balladen respektive ein zeitweise fast schwebendes bis
meditatives Stück mit rhythmischen Komponenten (die irgendwann die Oberhand
gewinnen), eine Art schneller elastischer Post Bop, leicht spacige (dabei elegante) Momente
plus federleichtes Fließen voller Schönheit, 1x ein Hauch Latin, 2x sogar Rock-Einflüsse in der
Rhythmik (in einem Fall in Kombination mit R´n´B; und im nicht nur für mich
herausragendstem Track, „Prologue“, bei dem sich enormer Drive, poetische Klänge, ein
glänzendes Stakkato-Solo der Trompete, ein genauso großartiges vom Tenorsax paaren). Und
halt immer wieder Grooves verschiedener Art, teils gekoppelt mit ausgesprochen
melodiösen Parts. Nichts für Jazz-Puristen, aber ein weiteres absolut exquisites Album von
ihm, mit einigen tollen hymnischen Phasen, klare Empfehlung!

 

 

 



Andrew Bird Trio -Sunday Morning Put-On

Sunday Morning Put-on

CD und LP

24er. Trio mit Gästen (darunter Larry Goldings, Jeff Parker). Stilistische sehr ungewohnt für
ihn, aber genau solche Musik hat ihn nach eigenen Worten früh massiv beeinflusst. Nämlich
(Vokal-) Jazz der 30er bis 50er! Und so interpretiert er hier reihenweise Klassiker der Zeit, von
Musicals, Cole Porter, Duke Ellington, Rodgers & Hart etc., Great American Songbook. Mit
einer kleinen Prise Uralt-Pop versehen, hier und da. Aber der Klang ist doch ein anderer. Live
aufgenommen im Studio, klasse Sound, sehr luftig, optimaler dezenter Hall. Relativ bis stark
reduziert arrangiert. Im Vordergrund sein Gesang und die Geige, Letztere agiert in höchstem
Maße brillant, unglaublich feinziseliert, nuancenreich und variabel, voller Ideen, virtuos auf
musikdienlichste Art, oft extrem filigran, aber auch mal etwas roh wirkend; wie er selbst und
das Info richtig anmerken, macht das manchmal gar den Eindruck, als wäre die Geige an
Bläser angelehnt. In vielen Punkten ähnliches lässt sich über seine Stimme sagen, absolut
erstklassig, sehr sehr ausdrucksvoll! Die Drums begleiten mit gewisser Vorliebe ebenso
feinfühlig, gelegentlich fast gestreichelt, dazu gesellt sich hier und da Parkers strikt im Jazz
der 50er wurzelnde Gitarre, mehrfach sehr schön und effektvoll ein Vibrafon, wenig Piano.
Anzumerken bleibt, dass die Geige immer wieder auch gezupft wird, kurze Soli auch in dieser
Form beiträgt, und überhaupt oft superb soliert. Die Stücke sind teils in ihrer Anlage
improvisationsgetrieben, vor allem die ruhigen Songs atmen eher „klassischen“ Jazz-
Balladen-Geist der 40er (frühen 50er), nicht alles (aber so einiges) swingt traditionell, die
Spannbreite reicht bis zu wenigstens ansatzweisen Proto-Bop-Anleihen (selten). Ein Album
voller Gefühl und instrumentaler Klasse, ohne je laut zu werden, manches klingt richtig
faszinierend, bei einem Track dachte ich kurz an Mose Allison, ein anderer (Caravan) arbeitet
mit stärkeren Kontrasten und kurzen emotionalen Ausbrüchen. Zum Schluss bricht er in der
einzigen (improvisierten) Eigenkomposition (ein Instrumental) aus dem Raster aus (schon
durch die Länge, satte 9 Minuten), wirkt „heutig“, es entwickelt sich ein organischer
wunderbarer Fluss, in flexibel-federnder Rhythmik – eigentlich ein einziges langes Geigensolo
mit Begleitung.

 

 

 



Mdou Moctar - Funeral for Justice

Funeral for Justice/Tears for Injustice

CD und LP

24er. Die Musik dieser Gruppe aus dem Niger ist ja nur bedingt vergleichbar mit Tinariwen
oder Tamikrest, selbst die rockigen Alben von Bombino nehmen sich demgegenüber fast
zahm aus. Zurzeit jedenfalls sind sie für mich die beste Tuareg-Band überhaupt. Die
Kernelemente des typischen Tuareg-(„Desert Blues“-) Sounds sind nach wie vor vorhanden,
die Melodik/Harmonik zum Beispiel, wenn auch gern modifiziert oder abgeschwächt, siehe
die Verwendung des Call-Response-Prinzips im Gesang oder die Art der Rhythmik. War ihre
Auslegung bislang massiv rockiger Natur, ist sie nun in 1,2 Fällen schon beinahe punkig zu
nennen, der Drive ist immer wieder enorm, die Dichte, Schärfe, Härte und Intensität, die
Power ebenso – das war zwar beim großartigen „Afrique Victime“-Album schon zu hören,
aber sie treiben es jetzt noch mehr auf die Spitze, gewisse Verfeinerungen des Vorgängers
(Psychedelic-Elemente, Hall, poetische Momente…) werden stark verringert (ohne gänzlich
zu verschwinden). Allein das unglaublich furiose, brennende Gitarrenspiel samt Feedbacks
und Distortion ist sensationell (mittlerweile konnte man schon die Klassifizierung „bester
Rockgitarrist der Welt“ oder den Begriff „Gitarrengott“ lesen). Im Titeltrack drehen sie auf
Höchstgeschwindigkeit, überschlagen sich beinahe (in toller Rhythmik!), anderswo gibt es
wilde Schredderorgien der Gitarre (in nicht mehr ganz so schneller Gangart), zwei Stücke
weiter wird das Geschredder von massivem Tremolo ersetzt, mehr rhythmische
Akzentuierungen verwendet, auch Breaks (mit gleichzeitig hymnischen Phasen obendrauf).
Das alles korreliert perfekt mit diversen Texten, politischer und „expliziter“ denn je, wütend,
partiell knallhart, gelegentlich macht es den Eindruck, als ob Moctar seine Wut auf seine
Gitarre überträgt. Steigerungen in diese Richtung sind musikalisch eigentlich nicht mehr
vorstellbar. Es gibt aber Ausnahmen, bzw. Relativierungen: Zweimal dann doch wieder
Psychedelic-Einfluß (nach eher „klassischem“ Start a la Tamikrest inklusive klasse
Effektgitarren, dann aber doch wieder beschleunigt; oder in Kombination mit kurzzeitig
ausgesprochen wilden Momenten sowie überraschendem Rhythmuswechsel mittendrin);
zwei Tracks setzen (zusätzlich zu den elektrischen) Akustikgitarren ein, in nur gemäßigt
schneller Gangart, verzichten gar kurz auf die Drums (von Percussion ersetzt), melodisch
jeweils ausgesprochen schön gestaltet, teils mit bestechendem Trance-Charakter, mehr Call-
Response-Vocals; oder inklusive reizvoller Rhythmusverschiebungen mit ergänzender
rollender Percussion, ebenfalls Trance-artig im Ergebnis. Alles in allem: Ein fantastisches
Werk, große dicke Empfehlung!

 

 

 

Brian Eno / Holger Czukay / J. Peter Schwalm - Sushi. Roti. Reibekuchen 
Sushi. Roti. Reibekuchen

CD und LP

24er. Ein singulärer unveröffentlichter Live-Auftritt von 1998, wobei sich zu den 3 Musikern
noch 2 Mitglieder von Schwalms Band Slopp Shop gesellen. Mehr oder weniger handelt es
sich um improvisierte Jams, komplett außerhalb jeglicher Rock-Strukturen, resultierend in 5
ausgedehnten Stücken zwischen 7 und 17 Minuten, das hier sind die rausgepickten Highlights
eines 3-stündigen Konzerts. Resultierend z.B. in einer Art Kombination von Avantgarde-
Elektronik, Samples, hypnotischen Understatement-Grooves, geringen Spuren von Can, in
einem Fall kommen in meinen Ohren noch ein Hauch frühe „Kosmische Kuriere“ in
Schräglage hinzu, im anderen muten die Electronics kurzzeitig beinahe wie Didgeridoos an.
Oder Electronic Cosmic Ambient mit „sanftem“ punktuellem Industrial-Bonus, in der 2. Hälfte
entsteht ein sachter diffiziler Rhythmus, der sich langsam durchsetzt. Das längste Stück
vereint nervöse schnelle Club-Beats (D´n´B, über lange Strecken, vielleicht ein Hauch
beeinflusst von Ethno-Rhythmik??), dunkle sphärische bis dräuende Electronics bzw. frühe
deutsche Avant-Elektronik, Space, Samples und Dub-Spuren. Schließlich pure Elektronik-
Avantgarde ohne Fixpunkte, die sich erst relativ spät durch die einsetzende Rhythmik
ergeben, wie üblich weiterer Input in Form von typischen Czukay-Radio-Samples, das Ganze
durchsetzt von Space-Electronics. Auf Grönland, also kein Semi-Bootleg!

 

 

 



Jesus & Mary Chain - Glasgow Eyes 
Glasgow Eyes

CD und LP

24er, erst ihre 2. Studio-LP nach der Quasi-Reunion 2007. 80s-Post Punk-Ahnungen
verbinden sich mit zeitlos-zeitgenössischem Indie Pop und ziemlich faszinierenden dunklen
atmosphärischen Klängen. 80s Electro und punktuelle sägende Gitarren (-Smashes), relativ
eingängig ummantelt. 60s-Reminiszenzen, ohne auf den damaligen Sound zurückzugreifen,
Pop-Elemente inklusive. Eher minimalistischer Post Wave, pochend und sehr geradlinig.
Partielle Rückreisen zu ihren Anfängen, zum Beispiel recht düster oder schön zähflüssig,
anderswo im Background schillernd und leicht psychedelisch, auf jeden Fall bestechend
hypnotisch. Speedy Post Punk + etwas Noise, Spuren von Suicide und Stooges, Electro +
Space. Mehr Psychedelic-Spritzer, melodisch und wirkungsvoll aufbereitet. Glitzernde Synth-
Einlagen + fette distorted/fuzzy Gitarren im Indie Rock-Kontext mit Pop-Untertönen.
Motorische Kraut-Anleihen im Pop-artigen Gewand. Kinks-Einfluss (?) trifft Indie Pop und
Groove. Und zwischendurch Velvet Underground. Der Synth-Einsatz ist übrigens
einigermaßen obligatorisch.

 

 

 




  Bevis Frond - Focus On Nature 
Focus on Nature

CD und LP

24er. Wie schon beim tollen Vorgänger (Little Eden) wieder sehr viele Stücke (diesmal 19, in
75 Minuten), und wieder bringen es davon nur 3 auf mehr als 5 Minuten (maximal 8) – für
ihre Verhältnisse erneut sehr songorientiert, über weite Strecken. Mit gegenüber den alten
Platten deutlich verringertem Psyche-Faktor. Dafür eine gelungene sehr bunte Mischung:
Diverse deutlich an 70s-Rock angelehnte Stücke in recht handfest und bodenständig, je 1x
geringe Psychedelic-Spuren bzw. etwas stärkere Prog-Anleihen, in einem Fall zeitweise leicht
elegisch. Ebenfalls mehrere teil- (oder gar pur) akustische Nummern, ob ganz ruhig (eine Art
Indie-Folk-Song), im Folk-Rock-Terrain unterschiedlicher Couleur, oder eher Folk Pop
respektive Akustik-Rock. Ein treibender intensiver wie kompakter Guitar-Rocker mit
besonders tollem Riff, aber auch rasantem ausgiebigem Solo. Hoch melodiöser Pop Rock mit
60s-Elementen. Etwas Wipers-Touch in kurz und bündig und voller Drive. Die entspannten
Who in der 1. Hälfte der 70er. Dezente Tom Petty-Parallelen (2x). Purer Neo-60s-Garage
Punk. Ambitionierter melodischer Rock wie frisch aus dem England von 1970 importiert.
Frühe REM streifend samt sehr feinem psychedelischem Guitar-Feature, das angenehmst an
8 Miles High erinnert. Eine Tendenz zu frühem Pop Punk. Oder ein Hauch Wilco (mittlere bis
spätere Phase). Gefällt mir insgesamt wieder sehr, gerade auch die vielen
konzentrierten/kurzen verschiedenartigen Gitarren-Soli.

 

 

 




  Sam Lee - Songdreaming
 


Songdreaming

CD und LP

24er. Die regulären drei bisherigen Alben des Londoner Singer-Songwriters landeten allesamt
in meinen Jahres-Charts, und das wird bei Album Nummer 4 nicht anders sein. Seine Wurzeln
kommen aus dem britischen Folk, aber es gibt nur ganz wenige, die damit so einfallsreich, so
innovativ, so originär umgehen, mit mittlerweile sofort wiedererkennbarem und in jedem Fall
fabelhaftem Ergebnis. Die Musik atmet komplett freien Geist, insofern vielleicht mit den
ähnlich famosen The Gloaming vergleichbar, oder mit gewissen Platten von Alasdair Roberts,
was das „offene“ Harmonieverständnis betrifft, vielleicht mit Richard Thompson, aber er
klingt ganz anders, eben völlig eigen. Bill Callahan mit allerdings (auch stilistisch) total
anderen Vorzeichen fällt mir noch ein. Er besitzt eine (ebenfalls sehr eigene) ungemein
angenehme und berührende Stimme, die Instrumente (im Wesentlichen Piano, Geige bzw.
eine kleine Streichergruppe, akustische und E-Gitarre, teils Holzbläser, sporadisch Dulcimer,
Qanun, Nyckelharpa, Flöte, mehrfach ein Chor) verschwimmen phasenweise, fließen
ineinander, oft ziemlich süffig und edel arrangiert, die Rhythm Section agiert bestechend
feinfühlig und differenziert. Wobei die E-Gitarre schon mal ansatzweise einen Drone-artigen
Charakter annimmt, kurzzeitig. Zu den Folkeinflüssen kommt so etwas wie eine Prise
Songwriter-Pop, der Gestus/die Herangehensweise/der Spirit beinhalten irgendwie Spuren
(nicht mehr und auch nur manchmal) vom Jazz (aber nichts klingt auch nur ansatzweise
wirklich jazzig, mit einer Ausnahme). Bei den meisten Stücken entwickelt sich aus oft
leisen/zarten Anfängen ganz allmählich eine gewisse Steigerung, mal mehr, mal weniger
ausgeprägt, vor allem Dichte und Intensität nehmen zu, gelegentlich massiv (um gegen Ende
oder zwischendurch oftmals wieder abzuklingen). Eine weitere auffällige streckenweise fast
verblüffende und absolut reizvolle Besonderheit: Der Kontrast zwischen dem relativ ruhigen,
poetischen, teils leicht melancholischen und vor allem gedehnten bis „verlangsamten“
Gesang und der agileren Instrumentierung, gerade auch, was die Tempi betrifft (die zu allem
Überfluss selbst zwischen den einzelnen Instrumenten partiell kontrastieren) – und alles
wirkt dennoch völlig organisch! Noch ein paar Anmerkungen zu den einzelnen Stücken:
Frei(geistig) fließend mit dezent rockigem Flair. Stärker traditionell ausgerichteter ruhiger
spektakulär schöner Folk, aber auch mit effektvoll verzerrten Gitarren. Tolle Rhythmik und
enorm vielschichtig, hypnotisierend und packend. Ein bisschen elegisch. Durchweg sachte-
balladesk. Zeitlupenhaft anfangs, dann unglaublich erhaben, unglaublich faszinierend, und
tatsächlich punktuell/kurzzeitig etwas jazzig (die angesprochene Ausnahme). Ein weiterer
mehr traditionell ausgerichteter Folk-Song (mächtig langsam). Eine reduziert arrangierte
anrührende klassische Folk-Ballade… Es gibt übrigens keine richtig kurzen Tracks, die Musik
lässt sich Zeit zur Entfaltung. Und ein explizites durchgehendes Thema hat sie auch, die Natur
bzw. Naturverbundenheit. Ein ganz großartiges Werk, für mich ein absolutes Muß.

 

 

 




  Adrienne Lenker - Bright Future
 


Bright Future

CD und LP

24er. Die Sängerin (und Kopf) von Big Thief mit einer exquisiten Solo-LP (ihrer besten
bislang). Die Umstände der Aufnahmen sind offensichtlich, deutlich zu hören: Live im
analogen Studio mit geringstmöglichem Equipment und Aufwand, in einem Take eingespielt,
spontan, direkt und ehrlich, teilweise (auch mal stark) angerauht, komplett ohne Rhythm
Section. Nach „Bright Future“ hört sich das Album weniger an, eine sachte Form von
Melancholie durchzieht so einige Stücke. Meist sparsam, aber unterschiedlich instrumentiert,
Akustik-Gitarre, Geige und Piano werden eingesetzt (nur hier und da sind alle gemeinsam zu
hören), zwischendurch zudem Bass oder Banjo, 2x taucht eine geringfügig elektrifizierte
Gitarre auf. Und mehrfach sehr schöne relativ lose Harmony Vocals. Ein paar Tracks
funktionieren maximal reduziert, als Songwriter Folk einzig auf Piano-Begleitung beruhend
(tropfend, nackt und tief berührend), nur mit Gitarre in sanft und völlig schlicht oder
bedächtig und irgendwie Americana-typisch. Ansonsten: Etwas beschwingter; wobei sich
zum Folk eine dezent country-eske Note gesellt (mehrfach, in einem Fall auch in ruhiger
Gangart), oder, ohne Country-Einfluss, die oben angesprochene E-Gitarre trocken und enorm
raffiniert und agil dominiert, in einer so bislang selten gehörten fast originären Form! Noch
lebhafter/extrovertierter klingt eine alte beliebte Big Thief-Nummer (Vampire Empire), eckig,
kantig und roh gespielt, in ebensolcher Rhythmik, das Zusammenspielt von Geige, Piano und
Akustikgitarre frappierend. Zarte beinahe andächtige sowie relaxt fließende und sanfte völlig
schlichte Folk-Songs ergänzen eher konventionell, aber sehr schön, ein Stück atmet
sehnsüchtigen Geist, und den Höhepunkt (für mich jedenfalls) bildet der letzte Track:
Außerordentlich intensiv mit einfachsten Mitteln, ganz leicht effektverstärkt, mit
faszinierender Sogwirkung. Superber Gesang ohne jeden Schnörkel und eine klare
Empfehlung!

 

 

 




  Julia Holter - Something In The Room She Moves
 


Something in the Room She Moves

CD und LP (ab 22.3.24)

24er. Endlich ein neues Werk von ihr. Das letzte (Aviary) gehörte 2018 zu meinen absoluten
Lieblingsalben. Schwer begeistert bin ich auch hiervon, aber der Charakter ist ein anderer. Es
beginnt mit einer gewagten und partiell verblüffenden Kombination aus betörendem
verhalltem Gesang und atmosphärisch begeisternden Sounds jenseits aller üblichen
Zuschreibungen; kurze Groove-Ansätze treffen auf kompliziertere Rhythmik und eher
schwebende Phasen, etwas Ethno-mäßige kurzzeitig auch atonale Flöten (die in diesem
Kontext gewissermaßen eine erdende Funktion erfüllen), licht-leichte Keyboardschwaden
(Lap Steel?), zeitweise kommt die Musik fast zum Stillstand/geht in Zeitlupen-Zustände über
(ein bisschen halluzinogen gar). Passt nicht zusammen? Doch, schlussendlich schon, und wie
– packend! Viel Hall und eine tolle Atmosphäre begleiten auch viele andere Stücke. Wenn
z.B. (2x) Jazzelemente in frei gestalteten Songwriter-Rahmen übertragen werden, balladesk
bis slow motion bis behutsam vorangeschoben, zwischendurch teils absolute Ruhephasen,
alles vor allem getragen/kongenial begleitet von (manchmal sehr agil) umherstreifender
Trompete, schwerelosem E-Piano, Sax und Flöte. Und einem, auffällig hier und auch im
Folgenden, fretless Bass. Es geht ganz bezaubernd weiter, zart und langsam, sinnlich
gesungen, nur von E-Piano getupft ergänzt. Ein reines Vokalstück (mehrere Sängerinnen)
atmet sowohl reine leise Schönheit als auch experimentelle Ideen, für Momente dachte ich
an wagemutige/“progressive“ nordisch-indigene Musik (auch klasse). Es folgen u.a. zwei Art
Pop-Nummern (ein vorbeischauender Freund meinte „Kate Bush“, naja), die eine unerbittlich
vorwärtsstrebend/moderat repetitiv anmutend, mit Flöten-Akzenten und immens feinen
variabel agierenden Orgel-(artigen?) Klängen veredelt (fast hypnotisch!), die andere elastisch
und relativ dezent rhythmisiert, im Raum schwirren aparte Klänge zwischen Wohlklang und
kurz fremdartig-reizvoll anmutend herum, eingefasst in einen ziemlich konventionellen
melodiösen Songrahmen. Dazwischen steht ein rhythmusloses von Orgel grundiertes
kontemplativ-meditatives wunderschönes Klanggemälde voll herrlicher verschiedenartiger
Sounds (u.a. von Cello oder Geige, Flöte, Synthie, teils kaum identifizierbar). „Talking To The
Whisper“ schließlich gehört für mich zu den Highlights (unter ausschließlich exquisiten
Songs): Irgendwo im Spannungsfeld von Edel/Anspruchs-Pop, Jazz und kakophonischer
Avantgarde, rhythmisch attraktiv unterlegt zunächst, frei und recht wild ausfransend, eine
längere bestechende sanfte lyrische freigeistige Ruhephase folgt, ehe freies Spiel abschließt
(was mich entfernt an die Avantgarde-Phasen der frühen Van Der Graaf Generator erinnert).
Eine große Empfehlung natürlich!

 

 

 




  Idles - Tangk
 


Idles: Tangk, CD

CD und LP

24er. Jedes Mal bin ich gespannt auf ihre Alben, jedes Mal gibt´s die eine oder andere
Überraschung. Gleich 3 Songs wirken erstaunlich „sanft“ und atmosphärisch stark, leicht
unter Spannung stehend oder massiv verdunkelt und phasenweise moderat dröhnend (um in
diesem Fall irgendwie versöhnlich auszuklingen); „Indie Dark Pop“? 2x ist aggressiver relativ
düsterer treibend-pumpender Post Punk zu vernehmen, oder aber skelettierter mit starken
Bezügen zu den frühen 80ern. Bedrohlicher Post Wave, bei dem der Hörer vergeblich auf
einen Ausbruch wartet, mutet eher „heutig“ an. Ein Stück, das ansonsten radikal
abgespeckten trockenen Sound zelebriert, fasziniert in den Refrains auf beinahe (verstörend)
psychedelisch anmutende Weise, toll flirrend-verzerrt. 2 Tracks klingen für mich ein bisschen
Gothic-artig, zugleich melodiös und werden für ihre Verhältnisse (zumindest partiell)
einfühlsam gesungen; einer davon erinnert am Ende leicht an die frühen Wipers. Eine
schroffe punkige riffbetonte Nummer ist nicht so weit weg von den ganz frühen Gang Of 4.
Und irgendwo mittendrin dachte ich kurz an Radiohead.

 

 

 




  The Dead South - Chains & Stakes
 


Chains & Stakes

CD und LP (ab 9.2.24)

24er. Vierte (?) reguläre Studio-LP der Kanadier, die von Anfang an glänzten, auch mit ihren
„Zwischendurch-Projekten“. Natürlich, sie gehören zu den doch erstaunlich vielen (und
definitiv besten) Bluegrass-Bands heutzutage, die dafür sorgen, dass diese Szene momentan
stilistisch so weit aufgefächert wird wie wohl noch nie zuvor, und das auf ungemein hohem
Level. Ihre Musik macht einfach enormen Spaß, und blieb von Anfang an nicht in
ausgetretenen Pfaden stecken, erweitert das Spektrum stetig. Auch hier, beispielsweise:
Ausgesprochen variationsreicher stark (v.a. rhythmisch) modifizierter respektive massiv (und
klasse) akzentuierter Bluegrass mit wunderbarem emotionalem Gesang, leisem Southern
Gothic-Feeling, viel Drive und mehrfach die Stimmung wechselnd. Eine modernisierte
Appalachen-Ballade. Ein paar wenige großteils oder wenigstens halbwegs traditionsliebend
gespielte Songs, trotz partiell genreuntypischer/unorthodoxer Harmonien. Frischer
unkonventioneller Bluegrass mit unterschwellig aufblitzendem Balkan-Folk (?)-Einfluss,
inklusive bluesiger Einleitung und melodisch außerordentlich reizvoll. Eine Art „Indie-
Mountain Folk, ohne strikt auf alten Gepflogenheiten zu bestehen. 2-step-Bluegrass-Folk
voller instrumentaler Feinheiten und Köstlichkeiten und Überraschungen zwischen Tempo
und Poesie. 2x ein Mix aus Bluegrass- und Songwriter-Country-Elementen, einmal plus
wiederum Southern-Gothic-Tupfern, rhythmisch ganz toll, ausdrucksstark, superber 2-
stimmiger Gesang, scharf geschnitten, und fast schon eine ungewohnt rockige Ader
phasenweise; und einmal balladesk. Zwischendurch gibt´s 3 sparsam gehaltene kurze
Instrumentals, zarter filigraner Gitarren-Folk, dunkel-melancholisch mit auffälligem Feature
ihres berühmten Cello-Basses, sowie unbestimmbarer Folk. Bei alledem sorgen auch die
Arrangements für jede Menge Abwechslung, zwar geprägt von den Bluegrass-typischen
Instrumenten (Gitarre, Bass, Mandoline, Banjo, Geige, sehr wenig Fiddle, keine Drums),
jedoch immer wieder anders zusammengesetzt, selten sind alle beteiligt, mal 2 Gitarren
(oder Mandolinen), dazu kommen regelmäßig exquisite Harmony Vocals. Dicke Empfehlung!

 

 

 




  Mitch Ryder - The Roff Is On Fire
 


The Roof Is on Fire

2CD und 2LP (ab 26.1.24)

24er. Den hatte ich nun wirklich gar nicht mehr auf dem Schirm. Live 2019 und 2020 in
Dresden, Berlin und Bonn mit seiner bestens eingespielten Tourband, Engerling.
Überraschungen gibt es nicht, aber wozu auch. Die Stücke sind teils jahrzehntelang in seinem
Programm, eigene und Covers (z.B. Ain´t Nobody White, Freezin´ In Hell, Tuff Enuff von den
Fabulous Thunderbirds, Many Rivers To Cross, Subterranean Homesick Blues, Red Scar Eyes,
Tough Kid), die Musik pendelt zwischen hartem relativ kantigem/rauhem gitarrenbetontem
old-fashioned Rock mit signifikanter R´n´B/Blues-Grundierung, bodenständigem Classic Rock
(beides vor allem in den vornehmlich frühen 70ern beheimatet) und einem längerem
Balladen-Block (mal rockig und recht derb, meist eher gefühlsbetont mit manchmal kurzen
Crescendi, gern gemäßigt rootsig, bluesig respektive etwas soulig, gelegentlich übernimmt
dabei das Piano oder die Orgel die Führungsrolle – Tasten, auch E-Piano, sind zwar
omnipräsent, sonst jedoch eher im Background gehalten). Sporadisch bewegt er sich fast
schon in Hard Rock- respektive Blues-Rock-Nähe, die Gitarren bekommen genug Raum für
(eher kurze, dafür meist mehrere) Soli in den meisten Tracks, inklusive Distortion, Wah-Wah-
Parts. Überraschend taucht in 2 Stücken ein Sax auf, z.B. im 15-minütigen Roots-rockigem
Soul Kitchen (of Doors-Fame), das die Intensität rauf und runter fährt. Und seine Stimme ist
trotz des hohen Alters immer noch intakt, sehr rauh.

 

 

 




  Ja, Panik - Don't Play With The Rich Kids
 


Don't Play With The Rich Kids

CD und LP (ab 2.2.24)

24er der Österreicher. Gleich ein richtig guter Start: Hymnischer (Indie) Rock nicht ohne Pop-
Elemente, vielschichtig in mehrfacher Hinsicht (was sich im Verlauf der Platte wiederholt,
zumindest, was die instrumentale Seite betrifft, mitsamt einer beträchtlichen und effektiven
Dichte in den Arrangements), in Teilen (aber nicht komplett) 90s-angelehnt. Danach höre ich
u.a. 80s-Post Punk-Elemente unter Indie Pop-Einfluß, in einem Fall recht catchy (und klasse);
Scharfe schneidende aggressive Gitarren gekoppelt mit Vocals, die (auch im Backing) eher
Pop-affin klingen samt dezentem Bowie-Touch (der wird später noch einmal zitiert); einen
ruhigen akustisch-elektrischen Song, der instrumental partiell ganz leicht experimentell und
modern-psychedelisch ausfällt; ansatzweise elegischen später durch die Gitarre rohen bis
relativ wüsten Rock; zeitlosen geradezu euphorischen melodischen Rock; Groove Rock mit
Pop-Bezug, ein bisschen wie um 1990 herum; und schließlich einen lange Zeit ruhigen und
sehr atmosphärischen 12-Minüter, der sich nach 5 Minuten zu einem frenetischen unerhört
verdichteten intensiven Gitarren-Tour-de-force-Jam auswächst (toll!). Insgesamt wird die
Gitarrenbetonung nicht selten durchbrochen, das bandtypische Durcheinander von Englisch
und Deutsch beibehalten, zwischendurch ganz gern kurze (einmal auch durchgängig) recht
leise (teil-) akustische Momente eingebaut. Im Pressetext ist übrigens zweimal von Blur die
Rede, nicht ganz verkehrt…

 

 

 




  Ancient Infinity Orchestra - River Of Light
 


River of Light

2CD

23er. Schon wieder ein neuer Stern der in den letzten Jahren so mächtig erblühenden
englischen Jazz-Szene, diesmal aus Leeds. Innovativ wirkt bei dieser Debut-LP zwar gar nichts,
aber die Musik ist herzerwärmend und von großer Schönheit, wozu ein beeindruckend
umfangreiches Arsenal an Instrumenten beiträgt: Zwei Saxofone (gelegentlich auch Bass-
Klarinette oder Sopran-Sax), eine Oboe, eine Flöte, die Rhythm Section natürlich und ein
ordnendes Piano bilden das Grundgerüst, hinzu gesellen sich eher punktuell Cello und Geige,
eine Harfe, ein Chor, das Zusammenspielt ist sehr sehr konzentriert! Und der Geist von
Pharoah Sanders und John Coltrane unverkennbar. Allerdings nicht in allen Aspekten präsent,
denn deren ekstatische/radikale Elemente und Ausbrüche werden fast gänzlich gemieden,
die Musik klingt fast komplett eher ruhig, ohne auf freieres Spiel zu verzichten – in dann
getragener rhythmusloser oft ergötzlich anmutender und bestechend melodischer Form.
Viele tief spirituell gefärbte Stücke (10 an der Zahl, für gewöhnlich mittel-lange), im herrlich
leichtfüßigen total relaxten Fluss, in einer Art offenem und sehr dezentem (teilweise
filigranem) Groove-Format, mehrfach inklusive unaufdringlichen kongenialen Ostinati,
phasenweise völlig in sich ruhend und eminent feinfühlig bis vollkommen friedlich, ab und zu
kurzzeitig ansatzweise orchestral. Einige Tracks geraten etwas reduzierter/abgespeckter,
verzichten gar über weite Strecken auf die Bläser (oder die Drums), der Chor erinnert 2,3-mal
ein wenig an Kamasi Washington (jedoch gemäßigter eingesetzt; in einer Nummer
verwenden sie eine weibliche Solo-Stimme), die lyrische Note ist nicht selten beträchtlich.
„Arc Of The Sun“ überrascht mit dem Einsatz einer chinesischen Zither, die zunächst für
einen deutlich fernöstlichen Charakter sorgt (plus Harmonium?!), in meditativ-getragener
beinahe festlicher Atmosphäre, ehe die vielstimmige Bläser-Phalanx einsetzt mit auch
dunkleren bis ein kleines bisschen dramatischen Farben – fabelhaft! Genauso großartig: Der
Titeltrack, der zeitweise fast wie in Trance/Zeitlupe erscheint, später freigeistiger sowie leicht
melancholisch und stärker in (diesmal non-spiritueller) 60s-Jazz-Tradition verwurzelt,
melodisch absolut toll und wunderwunderschön, alles wird aufgefahren, der Chor, Tenor-
und Sopran-Sax, Bassklarinette und Flöte und Geige. Zum Schluss wird auch im Titel
(„Pharoah Sings“) direkt auf Sanders Bezug genommen, allerdings erinnert gerade dort nicht
gar so viel an Pharoah, wenn, dann höchstens an den späteren, balladesken, etwas
konventionelleren. Klasse Album jedenfalls, bei dem ich mehrfach an Nat Birchall dachte (der
momentan bei mir rauf und runter läuft).

 

 

 




  Violent Femmes - Same Title (Deluxe)
 


Violent Femmes (Deluxe Edition 2CD)

2CD

23er Reissue, neu remastered. Als diese Platte, ihr Debut, vor 40 Jahren rauskam, war fast
mein ganzer Freundeskreis (ich auch) hin und weg. Derart individuelle, originelle und dabei in
der Struktur eigentlich ganz einfache und zudem extrem spontane Musik gab´s selbst damals
nur selten, so frisch und unmittelbar packend klang fast nichts anderes – auch, weil gleich
reihenweise tolle Songs enthalten waren, war ein unsterblicher Klassiker entstanden, der
noch heute seine Wirkung entfaltet, und stilistisch nur schwer zu greifen ist. Weil seine
Bestandteile (Akustik-Rock, Folk- und Punk-Elemente, „Roots-Wave Rock“ oder so ähnlich
und was weiß ich noch alles, eine Prise Jonathan Richman, samt ähnlich gelagertem
erheblichem Charme, und sogar Jazz-Spritzer, durch den Bass) so ungewöhnlich, aber auch
ganz natürlich und organisch wirkend zusammengesetzt wurden, ohne vor gelegentlichen
Dissonanzen und effektvoll wilden Parts/Kurz-Soli zurückzuschrecken, die einfach untrennbar
dazugehören. Musik, die ungeheuer viel Spaß macht, auch heute noch. Und das in strikt
reduzierter Form, die Gitarre vor allem akustisch (aber auch sehr dezent verstärkt, ohne alle
Effekte gespielt), akustischer wie elektrischer mehrfach auffälliger und agiler Bass, ein extrem
minimalistisches Schlagzeug reichen (sporadisch tauchen kurz Geige, Xylophon, Piano auf).
Roh wie zärtlich. Enorme Spielfreude und ebensolcher Drive, reichlich Dynamik, packende
Melodien kommen hinzu. Diese Ausgabe glänzt zudem mit einer Menge Bonusmaterial:
Gimme The Car und Ugly, die auf einigen vorherigen Ausgaben schon drauf waren. 9 Demos,
die sich in der Grundstruktur gegenüber den fertigen Stücken wenig unterscheiden, in
Feinheiten und Details allerdings schon, 3 davon sind non-Album-Tracks (2 davon mit Roots-
bzw. Rock´n´Roll-Geist der 50er gesegnet), 2 erschienen verändert auf Alben zehn Jahre
später. Und schließlich 13 Live-Tracks von 3 Konzerten (8 von 1981, also weit vor der Debut-
LP, 5 von Anfang 1983, kurz vor dieser Platte), von denen wiederum meines Wissens 4 Songs
auf keiner regulären Platte erschienen (auch nicht auf der „Add It Up“-Compilation), nämlich
Break Song, Her Television, How Do You Say Goodbye und In Style. 2 kamen erst auf ihrer 2.
LP (Hallowed Ground) raus, darunter das gloriose Country Death Song (und auch Never Tell
ist eine sehr gute Nummer), einer auf LP Nr. 3. Die Live-Versionen unterscheiden sich partiell
deutlich stärker von der LP als die Demos (man höre die Gitarren, die im späteren Verlauf
ebenfalls ein paar Mal elektrifiziert werden), kommen phasenweise eminent schroff, scharf,
oft wilder, aggressiver. Also, sollte jemand die Original-LP nicht besitzen/kennen: Ganz ganz
große Empfehlung. Für Fans dank des Bonusmaterials ebenfalls reizvoll

 

 

 




  The Kinks - The Journey Part 2
 


ΤΗΕ ЈΟՍRΝΕΥ – ΡΑRΤ 2 (2СD)

CD und LP

23er. Ja, schon klar, Compilations gibt´s von ihnen reichlich. Trotzdem: Bei diesem neuen
Sampler führte Ray Davies persönlich Regie, suchte die Songs aus, das Remastering passt
(großteils 2023 erfolgt), die Zusammenstellung ist keine weitere „Greatest Hits“. Auch wenn
einige großartige Singles dabei sind (u.a. Till The End Of The Day, Sunny Afternoon, Lola,
Dedicated Follower Of Fashion, A Well Respected Man, auch 20th Century Man). Hinzu
kommen einige weitere non-LP-A-Seiten, aus den (früheren) 70ern. Apropos: Die Aufnahmen
stammen aus der Zeit von 1965-1975, die von 1974 und ´75 wären (mit einer Ausnahme)
nicht nötig gewesen, der Löwenanteil stammt von 1966-1970 (viele von Something Else, The
Village Green Preservation Society, dem non-USA-Sampler Sunny Afternoon, 2 auch von der
Lola-Versus…-LP, neben dem Titeltrack das tolle This Time Tomorrow nicht nur neu
abgemischt, auch als Alternativ-Fassung, nach dem 1. Hören organischer und sogar noch
etwas besser). Von den erwähnten Alben sind die meisten der besten reinen LP-Tracks
enthalten, auch einige 1st class-Single-B-Seiten sind dabei, klasse finde ich das unsterbliche
David Watts, Creeping Jean, Animal Farm, Scrapheap City, Two Sisters, See My Friends,
Wicked Annabella, Where Are They Now, Alcohol von Muswell Hillbillies, Susanna´s Still Alive,
I Need You, Sitting By The Riverside und Big Sky. 3 unveröffentlichte Liveaufnahmen stammen
von 1975, 2 (?) Outtakes komplettieren, 7 neue Mixe hat Davies selbst vorgenommen.
Manche Platten aus dem vorgegebenen Zeitrahmen wurden gar nicht berücksichtigt (Arthur,
The Great Lost Kinks Album, Everybody´s In Showbiz, kein Verlust). Der Kommentar von Ray
Davies: „Ich habe viel über mich selbst gelernt, als ich das Album zusammenstellte“. Ein sehr
gelungenes!

 

 

 




  Bill Ryder-Jones - Lechyd Da
 


Iechyd Da

CD und LP

24er. Nach 5 Jahren ein neues Solo-Werk vom ehemaligen The Coral-Gitarristen. Von kleiner
akustischer transparent und luftig wirkender Band bis zu opulenten Sounds der Streicher
und/oder den Backing-Chören (sporadisch Bläsern) sowie Solo-Parts (nur Piano bzw.
Akustikgitarre) auf der anderen Seite. Von melancholisch und zärtlich bis beschwingt (schon
mal mitten im Stück wechselnd samt Rhythmik/Tempo, auch mehrfach). Akustisch wie
dezent elektrisch. Von Folk Pop zu purem Songwriter-Pop (meinetwegen Indie Pop).
Zerbrechlich wie sanft umhüllend, elegisch wie geradezu symphonisch himmelhoch
jauchzend, oder in getragenem etwas wehmütigem Ambiente. Komischerweise funktioniert
jede Gangart, jede Ausrichtung (die er in den einzelnen Tracks partiell mischt, ohne Kontraste
mit dem Brecheisen erzwingen zu wollen, manchmal fallen sie trotzdem recht massiv aus).
Die in den allermeisten Stücken (aber längst nicht ständig) präsenten Streicher gefallen mir
großteils sehr, auch wenn sie kurzzeitig überborden, effektiv wirkt auch der Einsatz eines
zusätzlich rhythmisierenden Cellos in einer Nummer. Alle Arten von Tasteninstrumenten
werden eingesetzt, die akustischen überwiegen klar die elektrischen Gitarren, die vielen
Chöre stammen oft von Kindern (was in diesem Kontext einen eindeutigen Reiz besitzt!).
Dass all dies zusammenpasst, liegt natürlich in einem starken Maße auch an dem
songwriterischen Gehalt!

 

 

 




  The Vaccines - Pick-Up Full Of Pink Carnations
 


Another Nightmare

CD und LP

24er der Engländer. Indie-Guitar Rock der melodischsten Sorte, sprich, mit hohen Pop-
Qualitäten. Oder auch: Gitarren-Power Pop, zuweilen euphorisierend, mit hart rockendem
Rückgrat. Hymnenhafte Melodien gibt´s diverse, einige süchtig machende Hooks, eine
Menge guter Laune (trotz teils gegenteiliger Themen in den Texten) und mehrfach Anleihen
in den 80ern, die zum einen durch an die Frühphase von Cure erinnernde Gitarren erzeugt
werden, zum anderen durch (beileibe nicht in jedem Song auftauchende) Tasten, für
gewöhnlich eher im Hintergrund, aber wirkungsvoll. Gelegentlich überträgt sich die
Melodiosität auf die Gitarren, die übrigens hier und da in trocken-kantig riffender Weise
einen interessanten Kontrast zur eher voluminöseren bzw. hallreichen Abmischung bilden.
Durchweg up-tempo, positive vibrations reichlich.

 

 

 




  All Diese Gewalt - Alles Ist Nur Übergang
 


ALLES IST NUR ÜBERGANG

CD und LP

23er. Max Riegers (Die Nerven-Sänger/Gitarrist) nun schon 5. Solo-Platte. Die sich auch hier von der Band deutlich unterscheidet. Wenn man so will, Songwriter-Musik, die sich des öfteren abseits gewohnter Pfade bewegt, gern ziemlich massive und wirkungsvolle Kontraste einbaut, mehrfach jedoch ausgesprochen organisch wirkt, atmosphärisch sehr stark agiert (auf unterschiedliche Weise). Und stilistisch manchmal nur schwer greifbar ist. Markant und ziemlich kongenial klingt der Gesang (ganz "selbstverständlich" und ohne jedes falsche Sentiment), recht häufig dominieren (intelligent und teils sehr reizvoll eingesetzte) Synthies, gelegentlich fehlt die Gitarre sogar gänzlich (anderswo übernimmt sie die führende Rolle), auffällig selten sind Drums zu hören, was im Allgemeinen nicht zur Vernachlässigung der Rhythmik führt - gleichwohl gibt es Songs, die rhythmus- und melodielos großteils nur an- und abschwellende Wälle erzeugen (ich hatte kurz die Assoziation "frühe Cluster von heute") oder über weite Strecken schwerelos daherkommen (mit orchestralem Aufbäumen mittendrin, eine fabelhafte Nummer), oder vor allem ein (ungemein apartes, melancholisches) Musikgemälde erzeugen. Ansonsten: Rhythmisch tanzende Musik mit zarten Zwischenspielen, zeitweise auf seltsame Art spannungsgeladen, später dezent rockig. Reduzierter relativ gewagter fast avantgardistischer "Pop" (Pop?), phasenweise geradezu spooky. Unterkühlt leise, feingeistig und mit gewissem "Einsamkeits-Flair" . Leichtfüßfig und entspannter als meist, schließlich dezent hypnotisch verdichtet und immer intensiver. Zwischen sparsam mit repetitivem Gitarrenmotiv und weich umhüllendem bis massivem bis eindringlichem Tasten(wohl)klang inklusive etwas sinistrem Ausdruck. Der längste Song hat es in sich: Für Momente eine elektronische Kraut-Tendenz/Parallelen zu tastenbetontem New Wave (-Pop)/noisige Einwürfe/aggressive Post Punk-Elemente/lyrische Zartheit/pastorale Spuren - alles in einem, ein erstaunliches und faszinierendes Stück! Schließich eine sanfte leise einfühlsame Indie Pop-Ballade mit phasenweise toller schleifender Gitarre. Zwischendurch integriert er übrigens gesamplete Parts aus Klassik-LPs, Chöre und Orchester, als solche partiell kaum wahrnehmbar. Wie seine Band: Etwas besonderes.

 


 

 




  Amos Lee - Honeysuckle Switches
 


Greenville

CD und LP

23er des Singer-Songwriters aus Philadelphia, der nach seinem Chet Baker-Tribute ein weiteres Mal auf das Attribut "Songwriter" verzichtet, indem er sich diesmal Songs aus der Karriere von Lucinda Williams (sein persönliches Vorbild) widmet, sie durchaus auch schon mal umdeutet/z.T. recht eigen interpretiert. Vor allem in Form von vielen vielen Balladen - bluesig-soulig mit Herzblut und enorm ausdrucksstark (gesanglich wie instrumental, erst sparsam, dann süffig); stark Retro-orientierter R'n'B, immens einfühlsam, aber (zumindest bei einem Track) viel sparsamer als damals; allgemeine Americana-Tendenz, sanft und ganz langsam und ans Herz gehend; eine erst zarte, dann (mit superben Gitarrenlicks versehene ) kraftvollere Mischung aus Blues, Folk und mehr; sowie ganz nackter sehr berührender Folk-Country. Die wenigen nicht balladesken Stücke kommen gern multipel rootsig (ein Hauch Gospel, Elemente aus u.a. Folk, R'n'B, Country) in toller loser fast geheimnisvoller Atmosphäre mit im späteren Verlauf kurzen wundervollen Gitarrensalven, in einem anderen Fall eher in entspannter Weise und höchst melodiös. Oder sachter fließender becircender Roots-Pop, angenehm reduziert. Insgesamt klingt er dabei weniger rauh als Lucinda. Und bei einigen Stücken verzichtet er auf die Rhythm Section (die auch sonst zurückgenommen agiert). Klasse Vocals durchweg! Eine eindeutige Empfehlung. 

 

 

 




  Christian Kjellvander - Hold Your Love Still
 


Hold Your Love Still

CD und LP

23er. Ich habe ihn seit recht vielen Jahren nicht mehr gehört (u.a., weil Kollege Christoph ihn immer besprochen hat), kenne nur ein paar ältere Platten von ihm - damals fand ich's gut, war aber nicht sonderlich begeistert. Jetzt klingt er merklich anders. Allerdings, wie ich bei einem "Vergleichshören" der letzten Platten feststellen konnte, nicht sonderlich weit weg vom Vorgänger (von 2020), vor allem nicht von "Doom Country" (mit Tonbruket) aus dem gleichen Jahr. Okay, es gibt hier etwas weniger dazwischengeschossenes Störfeuer als bei denen (doch mehr als bei den Alben davor). Und auf jeden Fall weniger Roots-Elemente (z.B. Country) als beim Frühwerk, bzw. "versteckter" . Im Grunde wirkt seine Musik nunmehr in gewissem Sinne konsequenter, und (noch) wirkungsvoller. Eine oft wehmütige/melancholische Aura ist geblieben, aber auf eine etwas ungewöhnliche/spezifische/eigene, teilweise ansatzweise irgendwie "getriebene" Art. Und die jeweiligen Stimmungen finde ich immer wieder absolut faszinierend! Was früher nicht der Fall war. Akustische Gitarren (elektrische nur zur Hälfte, evt. weitere Saiteninstrumente), Streicher (bzw. Cello), Piano (plus weitere Tasten) dominieren den Sound (ab und zu ergänzen Backing Vocals oder ein kleiner Chor), ein Teil der Begleitung ist ziemlich weit nach hinten gemischt (nicht die Gitarren), der typische Bariton-Gesang trägt alles, Stil-Zuschreibungen fallen unbestimmt/verschwommen aus, das Gesamtbild ist ein dunkles (bis gar düsteres), einige Arrangements empfinde ich als schlicht großartig. Sporadisch blitzen sehr entfernte Erinnerungen an Chris Isaak (in freilich weitaus dunkler) oder Lee Hazlewood auf, etwas deutlicher an aktuelleren Nick Cave oder Scott Walker (quasi in der Übergangsphase in den späteren 70ern zu seinem abgefahrenen späteren Werk, noch ohne die ausgeprägte experimentelle Seite), vielleicht ein Hauch Cohen. (Halb-) Balladen bilden den Großteil der Musik, mal ein bisschen schwebend, mal mehrfach an- und abschwellend, mal eine Prise Drama, ein paar Mal harmonisch recht gewagt (einmal schon dezent noisig), phasenweise zart, sehr schleppend, schwer und geradlinig, kurz beinahe bedrohlich. Rockelemente werden gelegentlich/kurzzeitig und sparsam einbezogen, in einem Fall stärker (samt angezogenem Tempo). Die meisten Tracks haben Zeit, die Atmosphäre zu entwickeln, laufen 5-9 Minuten. Sehr besonders, klare Empfehlung!

 

 

 




  Beirut- Hadsel
 


Hadsel

CD und LP

23er. Nach längerer Pause ist Zach Condon zurück, diesmal machte er alles im Alleingang, spielen, singen, aufnehmen...und schleppen, nämlich das Aufnahme-Equipment in eine ganz weit nördlich in Norwegen gelegene ländliche Kirche, deren spezielle Orgel er benutzen durfte (eigentlich war er in diesem Landstrich nur, um in Ruhe zur Besinnung zu kommen). Diese Kirchenorgel ist denn auch in vielen Stücken (mit) soundbestimmend (ein Novum für ihn soweit ich weiß), zusammen mit seiner Trompete (teils multipliziert), seiner in sich ruhenden phasenweise wunderbaren klassisch schönen Stimme (immer wieder vorzüglich mehrstimmig arrangiert, mehrfach als Backing Chor - klasse!), differenzierter gelegentlich fast filigraner Percussion (wahlweise eine simple Rhythm Box), auf die er ab und zu verzichtet, sowie partiell analogem Synthie, erstaunlich oft Ukulele, manchmal Waldhorn (statt oder zusätzlich zur Trompete). Heraus kommen ein ums andere Mal sehr spezielle und wirklich beeindruckende Klanglandschaften von hohem Reiz, die ich in dieser Form und Gesamtheit noch nie von ihm gehört habe (Teile davon schon), ich weiß auch nicht, ob ich die Musik noch als "Pop" irgendeiner Art bezeichnen soll - "Indie Pop" passt jedenfalls keinesfalls, Folk- oder eine ziemlich ungewöhnliche Art von Ethno Pop bei ein paar Stücken wenigstens ansatzweise. Die Orgel agiert variabel, von relativ rauen kraftvollen fast riffenden Akkorden bis zu vielen langanhaltenden Tönen/Klängen, wobei die häufig getragene Form (wie auch selbige vom Gesang und teils den Bläsern) mehrfach im klaren Kontrast zur Rhythmik steht. Der Charakter vieler Songs bewegt sich irgendwo zwischen erhaben, erhebend und ansatzweise feierlich, anderswo entwickeln sich ein entspannter weicher Fluß, hypnotische Rhythmisierungen (die auch mal etwas Tribal-artig ausfallen oder leicht polyrhythmisch, zweimal inklusive einem leichten Latin-Touch), gar stoische bis dezent halluzinogene Sounds, zwischendurch sporadisch tauchen agile hüpfende Passagen oder zunehmender Elektronikeinsatz auf. Mittendrin ein pures getragenes irgendwie majestätisches Orgel-Stück. Ach ja: Ab und zu erinnert mich seine Stimme (keinesfalls die Musik) an Rufus Wainwright. Absolut zu empfehlen!

 

 

 




  Black Pumas - Chronicles Of A Diamond
 


Chronicles of a Diamond

CD und LP

23er und zweite LP der musikalischen wie verkaufstechnischen Überflieger aus Austin um Singer-Songwriter extraordinär Eric Burton (schon seine Stimme ist besonders, gern kurz hochsteigend oder gleich im Falsett, und zwar für Momente teils auch irgendwie aggressiver als bei vergleichbarer Musik üblich, ansonsten zwischen rau und einfühlsam/gefülvoll pendelnd). Die Arrangement-Ideen strotzen vor ungewöhnlichen bis überraschenden Ideen (und atmen so eine Prise Freigeist, sind partiell/nur phasenweise ganz schön süffig/opulent), ihre Art von Soul (und Funk) mag gern in alten Zeiten wurzeln (vor allem den frühen 70ern), beinhaltet aber auch (gemäßigt) "modernere" Elemente bzw. gewisse Wagnisse, manchmal unter Einbeziehung von Hip Hop-Einfluss (Rhythmik) oder Psychedelia (zwei, drei Mal, teils nur kurz), sogar Jazz (unterschwellig eher, selten, und mit geringem Anteil, in Form von Piano-Tupfern z.B.) in einem Fall gesanglich (hmm, sowas wie das Soul-Äquivalent von Talking Blues?). Richtig respektive komplett retro wirkt jedenfalls kaum etwas, immer wieder werden tradierte Spielweisen/Sounds aufgebrochen/durchbrochen, mal minimal, mal stärker. Heraus kommt ein definitiv eigenes Ding, freilich fast immer von den alten Heroen inspiriert. Das atmet dann mehrfach den Geist von Curtis Mayfield (mal als eine Psychedelic Soul-Ballade, mal als tanzender 70s-Funk inklusive kurzer schroffer Querschüsse, mal vermischt mit Marvin Gaye-Anleihen in allerdings jeweils deutlich modifiziert und versehen mit Widerhaken sowie der erwähnten Hip-Hop-artigen Rhythmik), geht in Richtung leicht rockender R'n'B mit kräftigem Analog-Synthie (der Song musste freilich nicht sein) oder einem Soul-Funk-Mix mit schroffer Rock-Gitarre und modernisiertem Rhythmus und Synth-Solo (sehr agil!), klingt besonders brillant und z.T. kontrastierend arrangiert (punktierend, nackt bis voluminös, mit geilen Fuzz-Einlagen bei ansonsten akustischem Gitarreneinsatz, klasse Backing Vocals und Groove, treibend). Weitere Balladen überraschen am Ende mit Gospel-Elementen, pendeln zwischen filigran und süffig mitsamt Keyboard-Schleiern und Psyche-Gitarren, verweigern sich klarer stilistischer Zuschreibungen (in bestechender oft supersanfter Atmosphäre, dominiert von akustischer Gitarre jedoch unterbrochen von einer superben E-Guitar-Einlage, die ein wenig an die Beatles denken lässt). Erst das abschließende "Rock And Roll" ist eben das nicht und enttäuscht leicht (der zweite Ausfall, okay). Koryphäe Shawn Everett mixte (fabelhaft), verwendet werden auch Orgel, Mellotron, Streicher, E-Piano, "normale" Keyboards, ein kleiner Chor, (wenig) Bläser. Klare Empfehlung!

 

 

 




  Kraan - Zoup
 


Zoup

CD und LP (ab 19.01.2024)

23er. Die Kernbesetzung besteht wie seit über 50 Jahren aus Hattler, Fride und Wolbrandt, bei der CD (die 3 Bonustracks aufweist) kommen bei je einem Stück Johannes Papperts Saxofon dazu (der ab 1971 für einige Jahre dabei war) sowie Ingo Bischof (seit 1975 immer wieder ein- und ausgestiegen) - das Stück muss also schon einige Jahre alt sein, er ist ja 2019 verstorben. Keyboarder Martin Kasper ist ziemlich regelmäßig (wenn auch nicht immer, bzw. teils nur punktuell) dabei. Ich habe keinen Vergleichsmaßstab, wie dieses neue Werk im Vergleich zu ihren Platten seit den 80ern ausfällt, weil ich den Weg der Gruppe nach den 70s nicht mehr verfolgt habe. Also, ganz wertfrei: Eine oft ausgesprochen melodiöse Gitarre, wechselnde Kombinationen aus Rock, Funk und Fusion, Grooves mal mit Tempo, Rasanz und/oder Drive, mal relativ gebremst/mid-tempo, langsame Tempi gibt's nicht, gelegentlich recht locker/etwas tanzend, ab und zu leicht nervös wirkend, was jedoch u.a. durch den Gesang wieder ausgeglichen wird - Letzteren setzen sie zweimal ein, wobei auffällt, dass die Keyboards dort kaum eine Rolle spielen, Fusion- und Funk-Einflüsse ebenfalls nicht. Die Tasten machen sich aber auch in anderen Tracks eher rar, heißt: Sie fehlen oder werden nur für (z.B. typische 70er-Synth-) Soli auffällig. Klassische 70s-Musik, immer noch, keine Überraschungen, exzellentes Spielvermögen.

 


 

 




  Rolling Stones - Hackney Diamonds
 


Hackney Diamonds (Digipak)

CD und LP

23er. Okay, 18 Jahre ohne ein neues Album mit den eigenen Songs sind eine sehr lange Zeit, "historisch" ist hier trotzdem kaum etwas. Aber es endet ein bisschen so...Es schließt sich der Kreis gewissermaßen. Ein Riff-Rocker bekannter Machart startet das Werk, mit (gutem) Pop-artigen Refrain - Einschub: Letzteres wiederholt sich mehrfach, doch dieser Pop-Input tut der Platte manchmal/zumindest partiell ganz gut. Gleich der folgende Song steigert das noch, fast die gesamte Melodieführung enthält Pop-Elemente, über groovig-rockendem Backing. Die erste (von 4) Balladen folgt, ich kann ihr nichts abgewinnen. Das ändert sich später, wenn z.B. im teilakustischen rootsigen Dreaming Skies (mit feiner Slide und Harmonica) die frühen 70er der Band angenehm ein bisschen in Erinnerung gerufen werden, mehr noch im mit Abstand längsten und songwriterisch besten Stück, Sweet Sounds Of Heaven; das beinhaltet Gospel- Soul- und Blues-Elemente, steigert sich zu enormer Opulenz (mitsamt einer gesanglich auffälligen Lady Gaga, die hier neben Stevie Wonder an den Tasten gastiert), bevor es irgendwann stark reduziert weitergeht - exquisit! (Ballade Nr. 4 gehört für mich wieder zu den Schwachpunkten). Ein weiteres Highlight featuret Paul McCartney (der ein sehr kurzes aber schön rohes Solo bekommt), ein geradliniger schneller ziemlich vorzüglicher Rock'n'Roller; weitere straighte Rocker weisen wieder mehr Pop-Einfluss auf, diesmal teilweise nicht so gelungen. Im Gegensatz zu einem voll überzeugenden treibenden bluesigen/Roots Rock-Track mit effektiver Piano-Begleitung von Elton John und Gast Bill Wyman. Zum Ende der oben genannte sich schließende Kreis: Ein Cover des namensgebenden Muddy Waters-Songs, hier "Rolling Stone Blues" genannt. Nur Jagger und Richards, nur Gesang (übrigens durchweg ohne Makel) und E-Gitarre plus etwas Harmonica, absolut purer Blues zwischen den (elektrifizierten) 20ern und den 50s. Richtig richtig gut! Ein Fazit mag jede/r selbst ziehen.